In den nächsten Wochen, in denen der Deutsche Fußball-Bund (DFB) die neue Begeisterung um die Nationalmannschaft mit Blick auf die Europameisterschaft erhalten wollen wird, wird er seine Fans wohl immer wieder an die Momente dieses März’ erinnern, die diese Begeisterung erst entfachten.

An die ersten Sekunden des Frankreich-Spiels (2:0), als Toni Kroos passte und Florian Wirtz schoss. An die letzten Minuten des Niederlande-Spiels (2:1), als alle deutschen Spieler das Siegtor schießen wollten und Niclas Füllkrug das dann mit seiner Schulter schaffte. Doch der Moment, der für das, was im Sommer folgen soll, mindestens so wichtig war, wahrscheinlich sogar wichtiger, wird nun nicht als mitreißender Teaserfilm präsentiert werden können, weil es um keinen Pass, um keinen Schuss, um kein Tor ging – sondern um eine Auswechslung.

Am Samstagabend, an dem die Mannschaft im Stadion in Lyon das erste Mal seit der Neuordnung durch den Bundestrainer spielte, wechselte dieser in der 72. Minute den Spieler aus, der in einer Nationalmannschaft selten bis nie ausgewechselt wird: den Kapitän. Und weil İlkay Gündoğan (gemeinsam mit Wirtz) sogar der erste deutsche Spieler war, der an diesem Abend ausgewechselt wurde, war sich Julian Nagelsmann in dem Moment selbst nicht sicher, was das für Folgen haben würde.

Als Spieler und Trainer sich dann sofort an der Seitenlinie austauschten, soll der Dialog so abgelaufen sein. „Ich habe zu viele Bälle verloren“, sagte Gündoğan. „Alles gut“, sagte Nagelsmann. Und in dem Moment wusste er dann, dass wirklich alles gut war.

Auf der einen Seite spricht diese Anekdote, die der Bundestrainer am Dienstagabend im Stadion in Frankfurt erzählte, für İlkay Gündoğan, der im Juni 2023 als Kapitän Manchester Citys die Champions League gewonnen hat und dennoch so ein selbstkritischer und selbstloser Fußballspieler geblieben ist. Auf der anderen Seite spricht sie aber vor allem für Julian Nagelsmann, dem es gelang, dass ein Champions-League-Sieger seine Entscheidung nicht nur akzeptieren, sondern sie auch noch verstehen konnte.

Man kann daher sicher sagen, dass Nagelsmann der „größte Gewinner“ dieser März-Tage ist, wie der „Kicker“ das schon im Anschluss an das Spiel kommentierte. Man muss dann aber auch sagen, dass Nagelsmann nur so viel gewinnen konnte, weil er davor so viel verloren hatte. Doch das ändert nichts daran, dass die neue Klarheit der Mannschaft durch die neue Klarheit des Trainers entstand. Es ist unwichtig, warum er seine alten Ideen (Kai Havertz als so­genannter Schienenspieler auf der Außenbahn) durch neue Ideen (Toni Kroos’ Rückholaktion, klare Rollenfestlegung) ersetzte. Es ist nur wichtig, dass er erkannt hatte, dass es neue Ideen brauchte.

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Am Dienstagabend, als die Niederlande die deutsche Mannschaft in den ersten Minuten der zweiten Halbzeit unter Druck setzte, wechselte Nagelsmann – dieses Mal, so sagte er später, auch auf Rat des Mannschaftsarztes – seinen Kapitän Gündoğan wieder als Erstes aus. Und auch wenn das deutsche Team das Spiel danach noch hätte verlieren können, deutete sich da schon an, dass der Bundestrainer zu dem Zeitpunkt schon etwas Wichtigeres gewonnen hatte: das Vertrauen seiner Spieler.

QOSHE - Zwei Siege, die alles verändert haben - Christopher Meltzer
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Zwei Siege, die alles verändert haben

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27.03.2024

In den nächsten Wochen, in denen der Deutsche Fußball-Bund (DFB) die neue Begeisterung um die Nationalmannschaft mit Blick auf die Europameisterschaft erhalten wollen wird, wird er seine Fans wohl immer wieder an die Momente dieses März’ erinnern, die diese Begeisterung erst entfachten.

An die ersten Sekunden des Frankreich-Spiels (2:0), als Toni Kroos passte und Florian Wirtz schoss. An die letzten Minuten des Niederlande-Spiels (2:1), als alle deutschen Spieler das Siegtor schießen wollten und Niclas Füllkrug das dann mit seiner Schulter schaffte. Doch der Moment, der für das, was im Sommer folgen soll, mindestens so wichtig war, wahrscheinlich sogar wichtiger, wird nun nicht als mitreißender Teaserfilm präsentiert werden können, weil es um keinen Pass, um keinen Schuss, um kein Tor ging – sondern um eine Auswechslung.

Am Samstagabend, an dem die........

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