Muss man in Deutschland sein Mitgefühl mit den Palästinensern im Gazastreifen verbergen? Ist es verboten, die Toten zu betrauern, das Leid der Lebenden zu beklagen und die israelische Regierung dafür zu kritisieren, dass sie, womöglich, bei ihrem Feldzug gegen die Hamas-Terroristen zu viele zivile Opfer in Kauf nehme? Ja, sagte, leicht zugespitzt, die serbisch-bosnische Schriftstellerin Lana Bastašić (die für ihre ersten beiden Bücher heftig gelobt wurde) in einem Artikel, der im November im britischen „Guardian“ erschien. Alles, was nach Sympathie für die Palästinenser aussehe, werde als Antisemitismus denunziert, selbst das Wort „Palästina“ dürfe man nicht mehr aussprechen.

Der Artikel war trotzdem lesenswert: weil die Schriftstellerin, die laut ihrem Instagram-Profil in Berlin lebt, darin eine Haltung beschrieb, die man einen herrischen Philosemitismus nennen muss, eine deutsche Unduldsamkeit, der die Juden eigentlich ganz egal sind, solange man nur die Muslime maßregeln und vom eingeborenen Antisemitismus ablenken kann.

Wie ausführlich hier pro-palästinensische Stimmen jederzeit zu Wort kommen, sah und hörte man zum Beispiel neulich beim PEN-Kongress, wo zwei jüdische und zwei palästinensische Antizionisten sich eineinhalb Stunden lang einig sein durften in der Verurteilung Israels. Dass die palästinensische Sache trotzdem ein Legitimitätspro­blem hat, liegt auch daran, dass, laut und aggressiv, an Berliner Universitäten immer wieder die Auslöschung Israels gefordert wird im Namen dieser Sache. Und dass jüdische Studenten sich dort nicht mehr in die Lehrveranstaltungen trauen.

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Was das Mitfühlen besonders erschwert, ist der traurige Umstand, dass es die Empathie anscheinend nicht ohne Hass auf Israel gibt. Auch für Lana Bastašić scheint es eine Tatsache zu sein, dass, was in Gaza geschieht, ein Völkermord sei. Den Aufruf „Strike Germany“ hat sie nicht unterschrieben, auch wenn sie die deutschen Verhältnisse mit genau so harten Worten beschreibt. Aber bei Instagram hat sie jetzt bekanntgegeben, dass sie mit ihrem deutschen Verlag nicht mehr zusammenarbeiten wolle. Es ist S. Fischer – und weil der Verlag auch aus seiner jüdischen Gründungs- und Verfolgungsgeschichte die Verpflichtung abgeleitet hat, sich nach dem Massaker der Hamas solidarisch mit Israel zu erklären, wirft die Autorin ihm moralische Verantwortungslosigkeit vor: S. Fischer schweige zum Leid der Palästinenser. So mache sich der Verlag mitschuldig daran, dass jeder einzelne Muslim in Deutschland seine Deportation fürchten müsse. Solche dummen Sätze schaden vor allem der palästinensischen Sache. Lana Bastašić beendet ein Gespräch, das, nach dem „Guardian“-Artikel, hätte beginnen müssen.

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Darf man noch „Palästina“ sagen?

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16.01.2024

Muss man in Deutschland sein Mitgefühl mit den Palästinensern im Gazastreifen verbergen? Ist es verboten, die Toten zu betrauern, das Leid der Lebenden zu beklagen und die israelische Regierung dafür zu kritisieren, dass sie, womöglich, bei ihrem Feldzug gegen die Hamas-Terroristen zu viele zivile Opfer in Kauf nehme? Ja, sagte, leicht zugespitzt, die serbisch-bosnische Schriftstellerin Lana Bastašić (die für ihre ersten beiden Bücher heftig gelobt wurde) in einem Artikel, der im November im britischen „Guardian“ erschien. Alles, was nach Sympathie für die Palästinenser aussehe, werde als Antisemitismus denunziert, selbst das Wort „Palästina“ dürfe man nicht mehr aussprechen.

Der Artikel war trotzdem lesenswert:........

© Frankfurter Allgemeine


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