Es war falsch, böse, hässlich und empörend, was am Samstagabend bei der Abschlussgala der Berlinale gesagt und bejubelt wurde – und natürlich kann man jedem folgen, der jetzt fordert, dass die Verantwortlichen, also die Kulturstaatsministerin Claudia Roth, die desi­gnierte Berlinale-Chefin Tricia Tuttle und wer sonst noch etwas zu sagen hat, alles tun, damit sich das nicht wiederhole: dass Juroren und Preisträger vom Völkermord in Gaza schwadronieren; dass sie Israel bezichtigen, Zehntausende abzuschlachten; dass sie, mehr oder weniger direkt, das Ende des Staates Israel fordern (das die Konsequenz wäre, wenn keine Waffen mehr geliefert würden).

Zumal kein Wort fiel über die unfassbaren Verbrechen der Hamas, unter deren Herrschaft diese Preisträger bestimmt nicht leben und arbeiten wollen, schon gar nicht die Jurorin Véréna Paravel, die „Ceasefire now“ ans Oberteil geheftet hatte; und aus dem Oberteil wäre, als sie den Palästinenser ­Basel Adra umarmte, fast die Brust herausgerutscht, was die Hamas mindestens mit Steinigung bestrafen würde.

„Ich erwarte von der neuen Leitung der Berlinale, sicherzustellen, dass sich solche Vorfälle nicht wiederholen“ postet bei X der Regierende Bürgermeister Kai Wegner, der sich aber fragen lassen muss, ob ihn jemand daran gehindert hätte, unter Protest den Saal zu verlassen. Claudia Roth verspricht, „die Vorkommnisse aufzuarbeiten“, und muss sich jetzt anhören, dass sie, nach der Docu­menta, den nächsten Antisemitismus-Skandal am Hals und womöglich zu verantworten habe. Was nicht nur deshalb Unsinn ist, weil Claudia Roth, als die Documenta konzipiert wurde, noch nicht im Amt war. Sondern auch deshalb, weil man in Kassel die Leitung der ganzen Kunstschau ein paar Leuten mit seltsamen Vorstellungen vom Antisemitismus überließ.

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Was wäre aber der Vorwurf, den man jetzt der Berlinale-Führung oder der Staatsministerin machen müsste: dass sie mit den Filmen auch deren Schöpfer einladen? Dass internationale Jurys hier internationale Filme bewerten und internationale Künstler auszeichnen, ohne dass man vorher deren Gesinnungen genau durchleuchtet hätte?

Die bösen Sprüche waren das Risiko, das so ein Festival wohl eingehen muss, sie waren der Preis einer Freiheit, die mit sich die Erkenntnis bringt, dass Teile (es waren ja nicht alle) des Filmbetriebs in Israel den Schurkenstaat sehen wollen. Das Schmerzlichste an jenem Abend war der Jubel eines Publikums, das zu opportunistisch ist, als dass sich jemand getraut hätte, buh zu rufen. Oder eben den Saal zu verlassen.

QOSHE - Unter Protest - Claudius Seidl
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Unter Protest

8 20
27.02.2024

Es war falsch, böse, hässlich und empörend, was am Samstagabend bei der Abschlussgala der Berlinale gesagt und bejubelt wurde – und natürlich kann man jedem folgen, der jetzt fordert, dass die Verantwortlichen, also die Kulturstaatsministerin Claudia Roth, die desi­gnierte Berlinale-Chefin Tricia Tuttle und wer sonst noch etwas zu sagen hat, alles tun, damit sich das nicht wiederhole: dass Juroren und Preisträger vom Völkermord in Gaza schwadronieren; dass sie Israel bezichtigen, Zehntausende abzuschlachten; dass sie, mehr oder weniger direkt, das Ende des Staates Israel fordern (das die Konsequenz wäre, wenn keine Waffen mehr geliefert würden).

Zumal kein Wort fiel über die........

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