Die Heimlichtuerei ist vorüber: Es war vielleicht die beste Zeit. Seit fast einem Vierteljahr flüsterten interessierte Berliner einander zu, dass da anscheinend etwas sei, zwischen dem Regierenden Bürgermeister Kai Wegner und der Bildungssenatorin Katharina Günther Wünsch – und für Wegner, der ein freundlicher, manchmal passiv-aggressiver, aber eben nie charismatischer oder gar leidenschaftlicher Politiker ist, war das fast das Beste, was ihm geschehen konnte: dass es neben der prosaischen Wirklichkeit, Kai Wegner zu sein, noch eine poetische Möglichkeit gab, ein Geheimnis, eine Emotion.

Ein Vierteljahr lang bestand Wegner darauf, dass es neben seiner allseits ausgeleuchteten öffentlichen Existenz noch eine private Sphäre für ihn geben müsse, ein Schlafzimmer zum Beispiel, in dem die Öffentlichkeit nichts zu suchen habe. Genauso lange forderte das Volk zu wissen, mit wem der Regierungschef sein Bett teilt – schon weil die Frage, wem er abends seine verborgenen Gedanken gestehe, wer ihn nachts tröste und ihm morgens gute Ratschläge gebe, eine politische Frage sei.

Beide Interessen sind legitim – und jetzt, da das hohe Paar seinen Beziehungsstatus öffentlich gemacht hat, wissen die Berliner immerhin, dass der Bürgermeister und die Senatorin fleißig sind und viel zu viel arbeiten, als dass sie noch Zeit fänden, abends in Bars herumzuhängen oder sich bei privaten Dinnerpartys umzuschauen, weshalb man einander nur am Arbeitsplatz näher kommt.

Nach den Anstandsregeln der meisten Unternehmen werden Chefs, die mit Untergebenen etwas anfangen, gefeuert – weshalb jetzt schon erste Parteifreunde Wegners dessen Rücktritt verlangen: Wie könne er denn gut regieren, wenn er, um die nächste Beziehungskrise zu verhindern, ständig Rücksicht auf seine Freundin nehme? Was geschähe mittags im Kabinett, wenn die beiden am Morgen gestritten hätten? Wenn sie ihn oder er sie irgendwann verlasse? Man könnte einwenden, dass die Entscheidungen eines Regierenden Bürgermeisters immer auf ihre Richtigkeit überprüft werden, egal, welche Motive den liebenden Wegner befeuert haben.

Man könnte fragen, ob nicht die sogenannten Compliance-Regeln, welche die Liebe und den Sex nur als Störfaktoren am Arbeitsplatz denken können, weshalb sie geheime Affären nicht dulden und offene Liebesbeziehungen verbieten, bloß Ausdruck einer lustfeindlichen protestantisch-kapitalistischen Moral sind, die Hass eher als Liebe ertragen kann.

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Andererseits ist von Beziehungen am Arbeitsplatz grundsätzlich abzuraten. Man glaubt sich der Freiheit näher. Und holt doch nur das Büro ins Bett.

QOSHE - Verbotene Liebe - Claudius Seidl
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Verbotene Liebe

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08.01.2024

Die Heimlichtuerei ist vorüber: Es war vielleicht die beste Zeit. Seit fast einem Vierteljahr flüsterten interessierte Berliner einander zu, dass da anscheinend etwas sei, zwischen dem Regierenden Bürgermeister Kai Wegner und der Bildungssenatorin Katharina Günther Wünsch – und für Wegner, der ein freundlicher, manchmal passiv-aggressiver, aber eben nie charismatischer oder gar leidenschaftlicher Politiker ist, war das fast das Beste, was ihm geschehen konnte: dass es neben der prosaischen Wirklichkeit, Kai Wegner zu sein, noch eine poetische Möglichkeit gab, ein Geheimnis, eine Emotion.

Ein Vierteljahr lang bestand Wegner darauf, dass es neben seiner allseits ausgeleuchteten öffentlichen........

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