Für die herrschende Meinung muss man nicht demonstrieren gehen. Wenn die Guten den anderen Guten zubrüllen, dass sie die Guten sind, möchte man sich die Ohren zuhalten oder aus Trotz in die Rolle des Bösen schlüpfen. So sah es, im Stream jedenfalls, am Mittwochabend im Berliner Ensemble aus, als nach dem Ende der dramatisierten Correctiv-Geschichte das Publikum skandierte: „Alle zusammen gegen die Faschisten“ – obwohl weit und breit kein Faschist zu sehen war.

So war das, auf den ersten Blick, auch mit den Bauern, die, als sie ihre riesigen Traktoren aus den Garagen holten, um die halbe Hauptstadt lahmzulegen, sich sicher sein konnten, dass eine zumindest mit knapper Mehrheit herrschende Meinung auf ihrer Seite war: schon weil den Deutschen ohne Dieselsubventionen das Bier und das Brot bald ausgehen würden. Die Annahme, die der Aktion der Bauern zugrunde lag, war wohl die, dass die herrschende Meinung nicht die Meinung der Herrschenden sei; dass das Volk also etwas anderes als die Regierung wolle, wovon man die Herrschenden mit drastischen Methoden und großen Treckern überzeugen müsse.

QOSHE - Wer das Volk ist - Claudius Seidl
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Wer das Volk ist

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18.01.2024

Für die herrschende Meinung muss man nicht demonstrieren gehen. Wenn die Guten den anderen Guten zubrüllen, dass sie die Guten sind, möchte man sich die Ohren zuhalten oder aus Trotz in die Rolle des Bösen schlüpfen. So sah es, im Stream jedenfalls, am Mittwochabend im........

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