In der allgemeinen Erleichterung über den vorzeitigen Abbruch des sechstägigen Bahnstreiks der Lokführer ging die wichtigste Nachricht fast unter: Die beiden tief zerstrittenen Tarifvertragsparteien kehren nicht nur an den Verhandlungstisch zurück, sondern vereinbaren auch Stillschweigen über den weiteren Verlauf der Gespräche.

„Bravo!“ möchte der genervte Bahnkunde da rufen. Die Normalität kehrt endlich zurück. Tarifverhandlungen gehen den Bahnkunden eigentlich nichts an, ihn interessieren weder Machtkämpfe konkurrierender Gewerkschaften noch die Befindlichkeiten der handelnden Akteure. Doch schon seit Beginn der Tarifverhandlungen spielt GDL-Chef Claus Weselsky auf der Klaviatur der öffentlichen Aufmerksamkeit – nicht virtuos, aber lautstark: Er beleidigt seinen Verhandlungspartner und wirft mit pauschalen Vorwürfen um sich.

Auch die Bahnkunden sind der GDL offensichtlich egal. Das zeigt sich am Widerwillen, ihnen ausreichend Zeit für eine Alternativplanung zu geben. Mit einer willkürlich gewählten Gnadenfrist von maximal 48 Stunden, die zuletzt auch noch mitten in der Nacht zu laufen begann, reduzierte die GDL Millionen von Pendlern auf die Rolle nützlicher Statisten, die ansonsten nichts zu melden haben.

Die aktuelle Rechtslage lässt der Gewerkschaft freie Hand. Deutschland leistet es sich seit Jahren, auf ein kodifiziertes Arbeitskampfrecht zu verzichten. Dadurch ist der Streik nicht mehr das letzte Mittel, sondern in schwierigen Verhandlungskonstellationen inzwischen erste Wahl. Dabei geht es nicht einmal darum, das Streikrecht einzugrenzen.

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Vorgaben zu Ankündigungsfristen, Notdiensten oder Schlichtungsverfahren können die Eskalation kaum verhindern. Sie könnten aber den Kunden das Gefühl geben, dass auch ihre Belange berücksichtigt werden. Offensichtlich muss daran erinnert werden: Es sind die Steuerzahler, die milliardenschwere Belastungen in einem nie gekannten Ausmaß stemmen müssen, damit die Bahn das lange vernachlässigte Schienennetz generalsanieren kann. Doch eine Verkehrswende, die nicht auf die Belange der Bahnkunden Rücksicht nimmt, ist weder finanziell noch organisatorisch durchsetzbar.

QOSHE - Der degradierte Bahnkunde - Corinna Budras, Berlin
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Der degradierte Bahnkunde

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28.01.2024

In der allgemeinen Erleichterung über den vorzeitigen Abbruch des sechstägigen Bahnstreiks der Lokführer ging die wichtigste Nachricht fast unter: Die beiden tief zerstrittenen Tarifvertragsparteien kehren nicht nur an den Verhandlungstisch zurück, sondern vereinbaren auch Stillschweigen über den weiteren Verlauf der Gespräche.

„Bravo!“ möchte der genervte Bahnkunde da rufen. Die Normalität kehrt endlich zurück. Tarifverhandlungen gehen den Bahnkunden eigentlich nichts an, ihn interessieren weder Machtkämpfe konkurrierender Gewerkschaften noch die Befindlichkeiten der........

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