Bundesverkehrsminister Volker Wissing hat mit der Deutschen Bahn viel vor. Mühsam hat er zusätzliche Milliarden zusammengekratzt, um die dringende Generalsanierung des Schienennetzes zu ermöglichen – und trotzdem stehen die Züge still. In Zeiten von „Wellenstreiks“ der Lokführergewerkschaft GDL erreicht die Unzuverlässigkeit der Bahn ungeahnte Dimensionen. Der FDP-Minister kann selbst als Vertreter des Eigentümers vorerst nicht viel mehr tun, als mahnende Worte an die Tarifparteien und vor allem an die GDL zu richten. Die Frage, ob es sich das Land auch künftig noch leisten kann, auf Streikregeln in der kritischen Infrastruktur zu verzichten, dürfte – wenn überhaupt – frühestens nach Abschluss dieser Bahn-Tarifrunde politisch ernsthaft diskutiert werden.

Derweil steht der sechste Bahnstreik sinnbildlich für den Stillstand in der Verkehrspolitik – einem Bereich, in dem es endlich Bewegung braucht. Eine ganze Reihe von Gesetzesvorhaben aus Wissings Haus waren lange blockiert, oder sind es noch. Zuletzt hat das „Bundesschienenwegeausbaugesetz“ dieses Schicksal ereilt.

Es enthält nicht weniger als die gesetzliche Grundlage für die Finanzierung der Generalsanierung, die von Juli an beginnen soll und den Schienenverkehr in der nächsten Dekade prägen wird. Die Vorbereitungen laufen seit eineinhalb Jahren, aber der Gesetzgeber lässt sich Zeit. Zuerst lagen die Ampelfraktionen im Clinch, nun wollen die Länder den Vermittlungsausschuss anrufen. Es geht mal wieder ums Geld, steter Anlass für die Dauerfehde zwischen Bund und Ländern im öffentlichen Verkehr.

Die Liste lässt sich fortführen: Unnötige Verzögerungen hatten zuvor das Gesetz zur Planungsbeschleunigung aufgehalten, ebenso die Lkw-Maut. Sie trat erst im Dezember in Kraft und soll Milliarden für die Generalsanierung der Schiene in den Haushalt spülen. Auch diese Gesetze hatten die Ampelfraktionen im Bundestag monatelang in der Mangel, nur um sie dann doch ohne Änderungen zu beschließen.

Besonders tragisch ist das Schicksal des Straßenverkehrsgesetzes: Es sollte Kommunen in Deutschland mehr Spielraum bei der Einrichtung von Tempo-30-Zonen, Fahrradwegen, Bus- und E-Autospuren geben. Viele haben lange darauf gewartet, doch ist das Vorhaben einen stillen Tod gestorben. Wiederbelebungsversuche über den Vermittlungsausschuss gibt es bisher nicht. Der Bundesverkehrsminister Volker Wissing ist noch immer empört über die Blockade der Bundesländer, weil sie nicht inhaltlich, sondern vor allem politischen motiviert war: Die CDU-geführten Länder haben hier ein neues Druckmittel gefunden. Seit dem Scheitern warten alle, dass sich einer bewegt, denn irgendwie hätte man das Gesetz doch ganz gerne.

Selbst das Deutschlandticket passt in diese Reihe. Der 49-Euro-Rabatt für den ÖPNV wurde zwar in seltener Einigkeit in umgesetzt, wird aber seither im Nachhinein zerredet. Zu allem Überfluss liegen auch neue Anträge für die Förderung von Wasserstoffprojekten auf Halde: Wissings Ministerium hat unter seinem CSU-Vorgänger Andreas Scheuer ein irritierendes Eigenleben entwickelt. In der aktuellen Affäre um mögliche Günstlingswirtschaft scheinen sich Mitarbeiter offensichtlich sogar Anweisung der neuen Ministeriumsleitung zu widersetzen.

Das alles trübt die Bilanz des Pragmatikers Wissing, der seit mehr als zwei Jahren ein Ministerium regiert, das die zahlreichen Versäumnisse der Vergangenheit mit unglaublichen Milliardensummen reparieren soll und gleichzeitig der Verschwendung Einhalt gebieten muss. Das ist ein Balance-Akt ganz eigener Art, denn das Schienennetz gilt als heillos unterfinanziert, die Bahn gleichzeitig als Fass ohne Boden.

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Wissing hat viele wichtige Projekte angestoßen, aber zu oft gelingt es ihm nicht, sie auch schnell und geräuschlos über die Ziellinie zu bringen. Dafür scheint ihm im Moment eine Fähigkeit zu fehlen, für die er häufig gelobt wurde: seine Stärke als politischer Brückenbauer.

Stattdessen werfen die Streitereien ein Schlaglicht darauf, wie Verkehrspolitik derzeit verstanden wird: Als Spielfeld für ideologische Grabenkämpfe, bei denen Partikulargruppen auf Maximalforderungen bestehen. Die Lokführer sind dafür nur ein Beispiel, auch die Grünen hängen hartnäckig an ihrer Vision flächendeckender Tempo-30-Zonen, einer staatlich verordneten E-Auto-only-Politik und einem Ausbaustopp für Autobahnen. Doch Verkehrspolitik ist in allen Feldern auf zügigen Ausgleich angewiesen, wenn es gelingen soll, Klimaschutz und Mobilitätsinteressen in einem Industrieland im Herzen Europas zu verbinden. Wissing braucht für diesen Kraftakt mehr Verbündete.

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Das ausgebremste Land

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11.03.2024

Bundesverkehrsminister Volker Wissing hat mit der Deutschen Bahn viel vor. Mühsam hat er zusätzliche Milliarden zusammengekratzt, um die dringende Generalsanierung des Schienennetzes zu ermöglichen – und trotzdem stehen die Züge still. In Zeiten von „Wellenstreiks“ der Lokführergewerkschaft GDL erreicht die Unzuverlässigkeit der Bahn ungeahnte Dimensionen. Der FDP-Minister kann selbst als Vertreter des Eigentümers vorerst nicht viel mehr tun, als mahnende Worte an die Tarifparteien und vor allem an die GDL zu richten. Die Frage, ob es sich das Land auch künftig noch leisten kann, auf Streikregeln in der kritischen Infrastruktur zu verzichten, dürfte – wenn überhaupt – frühestens nach Abschluss dieser Bahn-Tarifrunde politisch ernsthaft diskutiert werden.

Derweil steht der sechste Bahnstreik sinnbildlich für den Stillstand in der Verkehrspolitik – einem Bereich, in dem es endlich Bewegung braucht. Eine ganze Reihe von Gesetzesvorhaben aus Wissings Haus waren lange blockiert, oder sind es noch. Zuletzt hat das „Bundesschienenwegeausbaugesetz“ dieses Schicksal ereilt.

Es enthält nicht weniger als die gesetzliche Grundlage für die Finanzierung der Generalsanierung, die von........

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