Die Unzuverlässigkeit der Deutschen Bahn lässt sich mit den allseits bekannten Pünktlichkeitswerten inzwischen allenfalls rudimentär umschreiben: Nur 64 Prozent der Fernzüge rollten im vergangenen Jahr einigermaßen pünktlich in ihren Zielbahnhof. Verspätungen fließen erst ab Minute sechs in die Statistik ein. Das ist schon miserabel genug, umfasst aber noch nicht einmal die Züge, die gar nicht erst losgefahren sind. Ebenfalls nicht erfasst sind alle jene Verbindungen, die wegen geplanter Baustellen über Wochen hinweg deutlich länger unterwegs sind als gewohnt.

Das erfahren gerade die Frankfurter, die sich auf den Weg in die Hauptstadt machen, und umgekehrt alle Berliner, die an den Main wollen. Mit der lieb gewonnenen Dauer von weniger als vier Stunden auf dieser Strecke können sie monatelang nicht kalkulieren. Gerade dauert die Reise mindestens knapp fünf Stunden.

Abweichungen vom eingeübten Ritual mögen die wenigsten, vor allem, wenn sie zulasten des eigenen Zeitbudgets gehen. Deshalb nehmen Bahnkunden diese Verzögerungen übel, selbst wenn sie sich noch innerhalb des angepassten Fahrplans abspielen. An die im Juli beginnende Generalsanierung mit ihren monatelangen Vollsperrungen mag man da noch gar nicht denken.

In solchen Zeiten tun Nachrichten wie diese besonders weh: Am Donnerstag schüttet der hoch verschuldete Staatskonzern Boni in dreistelliger Millionenhöhe aus. Da ist der Volkszorn sicher.

Geschürt wurde dieser Zorn monatelang nicht zuletzt von Deutschlands oberstem Lokführer Claus Weselsky. Der Chef der Lokführergewerkschaft GDL konnte das Narrativ vom raffgierigen Management für seine endlosen Tarifverhandlungen mit seinen Wellenstreiks gut brauchen. Und sorgte nicht schon im vergangenen Jahr die Nachricht gleich mehrmals für Schlagzeilen, das Bahn-Management streiche für das Jahr 2022 Millionen-Boni ein – trotz miserabler Pünktlichkeitswerte?

Mit einiger Verzögerung kam es auch dem Aufsichtsrat spanisch vor, dass dieses Kriterium in der Berechnung der Managementgehälter so wenig Niederschlag findet. Das veraltete System hat das Kontrollgremium im vergangenen Jahr deshalb geändert.

Im aktuellen Fall aber ist die reflexartige Erregung zwar einer allzu verständlichen Gereiztheit geschuldet, sie entbehrt aber jeder Grundlage. Diese Zahlungen können jedenfalls nicht als Beweis für eine verfehlte Firmenpolitik herhalten, denn die millionenschweren Boni sind nüchtern betrachtet variable Vergütungsbestandteile, von denen jetzt mehr als 42.000 Mitarbeiter im ganzen Konzern profitieren – der Konzernvorstand aber gerade nicht.

Für die achtköpfige Führungsriege stellt sich die Frage eines Bonus für das Jahr 2023 überhaupt nicht; das verhindern die strengen Regeln der Strompreisbremse, die der Konzern nutzen musste, als die Energiepreise in die Höhe schossen. Der Gedanke dahinter: Wer Staatsgeld bekommt, darf den Organen der Gesellschaft keine Sonderzahlungen überweisen.

Das gilt jedoch nicht für die Zigtausend Mitarbeiter, die den Konzern jeden Tag am Laufen halten – und das ist auch gut so. Fahrdienstleiter, Zugbegleiter und Lokführer haben in den beiden vorangegangenen Tarifrunden schon üppige Gehaltserhöhungen bekommen, die die hohe Inflationsrate teils deutlich überstiegen. Die Tarifabschlüsse tun der Bahn weh, aber sie zeigen auch die neue Verhandlungsmacht in Zeiten des Fachkräftemangels.

Aber auch IT-Mitarbeitern oder leitenden Angestellten ist kaum zu vermitteln, warum ihr Anspruch auf Gehaltsbestandteile nicht erfüllt werden sollte. Für die variable Vergütung gibt es schließlich klare Kennzahlen, die neben Pünktlichkeit und Kundenzufriedenheit auch Kriterien wie Klimaschutz und Diversität umfassen.

Derzeit verhindert vor allem das marode Schienennetz mit seinen vielen Baustellen und Störungen pünktliche Anschlüsse, und zu allem Überfluss bringt auch noch der stetig wachsende Personalmangel das Fass zum Überlaufen. Das kann nicht alles entschuldigen, aber es wäre töricht, ausgerechnet in dieser Situation dringend benötigte Fachkräfte zu vergraulen. Das würde weder den Volkszorn beruhigen noch das Problem lösen – im Gegenteil.

Diese Erwägungen sind kein Freibrief dafür, dass der Staatskonzern das Geld mit vollen Händen ausgeben dürfte. Auch wenn erstaunlich viele aus der Deutschen Bahn AG wieder eine Staatsbahn mit dem Bundesverkehrsminister im Führerhäuschen machen wollen: Der Steuerzahler darf auch in dieser Lage auf Effizienz und schlanke Verwaltungsstrukturen pochen.

In dieser Hinsicht hat das Management noch einiges zu tun. Aber umgekehrt müssen sich Bahnmitarbeiter nicht für jeden Cent schämen, den sie verdienen. Bei allem berechtigten Ärger über die Bahn sollte eine vernünftige Bezahlung eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.

QOSHE - Die Bahn-Boni sind verdient - Corinna Budras
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Die Bahn-Boni sind verdient

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25.04.2024

Die Unzuverlässigkeit der Deutschen Bahn lässt sich mit den allseits bekannten Pünktlichkeitswerten inzwischen allenfalls rudimentär umschreiben: Nur 64 Prozent der Fernzüge rollten im vergangenen Jahr einigermaßen pünktlich in ihren Zielbahnhof. Verspätungen fließen erst ab Minute sechs in die Statistik ein. Das ist schon miserabel genug, umfasst aber noch nicht einmal die Züge, die gar nicht erst losgefahren sind. Ebenfalls nicht erfasst sind alle jene Verbindungen, die wegen geplanter Baustellen über Wochen hinweg deutlich länger unterwegs sind als gewohnt.

Das erfahren gerade die Frankfurter, die sich auf den Weg in die Hauptstadt machen, und umgekehrt alle Berliner, die an den Main wollen. Mit der lieb gewonnenen Dauer von weniger als vier Stunden auf dieser Strecke können sie monatelang nicht kalkulieren. Gerade dauert die Reise mindestens knapp fünf Stunden.

Abweichungen vom eingeübten Ritual mögen die wenigsten, vor allem, wenn sie zulasten des eigenen Zeitbudgets gehen. Deshalb nehmen Bahnkunden diese Verzögerungen übel, selbst wenn sie sich noch innerhalb des angepassten Fahrplans abspielen. An die im Juli beginnende Generalsanierung mit ihren monatelangen........

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