Es ist nicht verwunderlich, dass sich im kollektiven Gedächtnis vor allem die Namen derjenigen Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland eingegraben haben, die gerade nicht aus den Reihen von CSU und CDU stammten. Während ausgerechnet der CSU-Politiker Guttenberg mit der handstreichartigen Aussetzung der Wehrpflicht einen Tiefpunkt in der jüngeren Geschichte der Verteidigungspolitik markiert, waren es Männer wie der vormalige Hamburger Erste Bürgermeister Helmut Schmidt und der katholische Gewerkschafter Georg Leber in den 1970er-Jahren, oder auch Peter Struck, der letzte Verteidigungsminister des zweiten rot-grünen Kabinetts Schröder, die zu ihrer Zeit furchtlos für eine „wehrhafte Demokratie“ einstanden.

Zu fürchten hatten die durchweg als „rechts“ geltenden Sozialdemokraten indes nicht allein äußere Feinde, von den Truppen des Warschauer Paktes bis zu den islamistischen Terroristen. Auch im Inneren mussten sie stets auf der Hut sein, und dies weniger vor Angriffen aus den Reihen der Opposition als vor ihren Dienst als Politiker verweigernden Parteifreunden bis zu Heckenschützen aus den eigenen Reihen. Die wenigen Verteidigungspolitiker in den Reihen der SPD-Bundestagsfraktion, denen in den langen Oppositionsjahren seit 2005 der Sprung an die Spitze des Ministeriums verwehrt blieb, können von der fast pathologischen Aversion großer Teile der SPD gegen Realpolitik im umfassenden Sinn ebenfalls ein Lied singen.

Wenn nicht alles täuscht, haben die linkssozialdemokratischen Reflexe gegen jede Form selbst des lauten Nachdenkens über neue Antworten auf alte und neue Bedrohungslagen auch die jüngste Zeitenwende überlebt. Anders ist das nachgerade unsägliche Niveau der Einlassungen nicht zu erklären, mit denen die Eskens und Mützenichs der deutschen Sozialdemokratie jeden Versuch im Keim zu ersticken versuchen, über die Nachwuchsgewinnung für die Deutsche Bundeswehr auch nur zu sprechen.

Nein, niemand will zurück zur „alten“ Wehrpflicht – auch und gerade nicht Verteidigungsminister Boris Pistorius wie auch und gerade nicht die Wehrbeauftragte Eva Högl. Nicht trotz ihrer Parteizugehörigkeit, sondern gerade als Sozialdemokraten denken sie seit Wochen laut darüber nach, ob es nach dem Vorbild Schwedens sinnvoll wäre, eine jahrgangsweise Musterung einzuführen, um jungen Männer und Frauen wenigstens einen Anreiz zu bieten, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob sie ihrem Vaterland vielleicht mit der Waffe oder der Gesellschaft eine Zeit lang in anderer Weise dienen könnten. Zu wechselseitigem Schaden würde beides nicht gereichen.

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Fürchten müssen die beiden Verteidigungspolitiker auch nicht die Opposition von CDU und CSU. Denn nicht genug damit, dass es um den Rückhalt in ihrer eigenen Partei nicht zum Besten bestellt ist. Vor einer FDP, die aus Freiheit einen libertären Politfetisch gemacht hat, können sie ebenso wenig Unterstützung erwarten wie von den Grünen, die Außenpolitik noch immer mit „soft power“ übersetzen. Bleibt nur zu hoffen, dass es Pistorius und Högl nicht an dem mangelt, was auch der Bundeswehr zu wünschen wäre: Durchhaltefähigkeit.

QOSHE - Bitte durchhalten - Daniel Deckers
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28.12.2023

Es ist nicht verwunderlich, dass sich im kollektiven Gedächtnis vor allem die Namen derjenigen Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland eingegraben haben, die gerade nicht aus den Reihen von CSU und CDU stammten. Während ausgerechnet der CSU-Politiker Guttenberg mit der handstreichartigen Aussetzung der Wehrpflicht einen Tiefpunkt in der jüngeren Geschichte der Verteidigungspolitik markiert, waren es Männer wie der vormalige Hamburger Erste Bürgermeister Helmut Schmidt und der katholische Gewerkschafter Georg Leber in den 1970er-Jahren, oder auch Peter Struck, der letzte Verteidigungsminister des zweiten rot-grünen Kabinetts Schröder, die zu ihrer Zeit furchtlos für eine „wehrhafte Demokratie“ einstanden.

Zu fürchten hatten die durchweg als „rechts“ geltenden Sozialdemokraten indes nicht allein äußere Feinde, von den Truppen des........

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