Rauschgiftpolitik ist keines der Politikfelder, auf dem Nachwuchskräfte Schlange stehen, um sich für höhere Aufgaben zu bewähren. Warum auch? Zu gewinnen gibt es nicht viel, zu verlieren umso mehr. Politiker können den Umgang der Gesellschaft mit psychoaktiven Substanzen meist nur zu einem kleinen Teil beeinflussen, und wer es doch versucht, der macht sich bei der notwendigen Abwägung konkurrierender Güter schnell mehr Feinde als Freunde.

Was gesundheitspolitisch vielleicht opportun erscheint, ist womöglich kriminalpolitisch bedenklich. Was dem einen als Übergriff des Staates in die Sphäre persönlicher Freiheit gilt, halten andere für eine Pflicht des Staates, Leib und Leben seiner Bürger zu schützen. Im Ergebnis war der politische Umgang mit Rauschgiften über Jahrzehnte ein klassischer Anwendungsfall sogenannter inkrementaler Politik, die auf möglichst wenige und stets behutsame Änderungen setzte.

So war es in Deutschland selbst dann, wenn eine Rauschgiftpolitik gescheitert schien, die auf den drei Säulen Prävention, Repression und Therapie ruhte. In den Neunzigerjahren stieg die Zahl der Rauschgifttoten aufgrund der Infektion mit HIV durch verunreinigte Spritzen derart rapide, dass die Unionsparteien selbst eine vierte Säule namens Schadensbegrenzung beziehungsweise Risikominderung errichteten: Substitution und Spritzentausch waren darin die Mittel der Wahl.

Die von der Ampel forcierte Legalisierung von Cannabis, die am Freitag im Bundesrat unter Beteiligung grün regierter Länder gebilligt wurde, liegt vermeintlich auf derselben Linie. Warum das Verbot einer Substanz aufrechterhalten, deren Gebrauch längst weithin toleriert wird, deren gesundheitliches Schädigungspotential geringer ist als das der meisten anderen illegalen Rauschgifte und deren Ächtung Ressourcen beansprucht, die auf anderen Feldern dringender gebraucht werden?

Doch so edel die Motive der Gesundheitspolitiker der Ampelfraktionen und ihrer wenigen Unterstützer im Bundeskabinett erscheinen mögen, so hätten die Fortschrittsadvokaten spätestens dann stutzig werden müssen, als sich eine in der Geschichte der Bundesrepublik einmalige Koalition aus Bundesärztekammer, Deutschem Richterbund, Gewerkschaft der Polizei und Kinder- und Jugendmedizinern gegen ihren Gesetzentwurf stellte.

Aber selbst dann hörten sie lieber auf eine bestens organisierte Cannabislobby als auf die Innenminister der Länder und viele Vertreter von Städten und Gemeinden, die parteiübergreifend davor warnten, dass die gesundheits- und rechtspolitischen Ziele der Ampel auf dem gewählten Weg in ihr Gegenteil verkehrt werden dürften. Am Ende wurde ein Gesetz über alle parlamentarischen Hürden gehievt, das wie die ähnlich brachial durchgedrückte Reform des Bundestagswahlrechts danach schreit, so schnell wie möglich korrigiert zu werden.

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Doch gleich welche Parteien vom Herbst 2025 an das Sagen haben werden: Alle sollten sich auf den alten, maßvollen Politikstil zurückbesinnen – zumal eine hochsymbolische Rücknahme des Cannabisgesetzes kein Ersatz wäre für eine dringend notwendige Fortentwicklung der Rauschgiftpolitik als Ganzer. Nicht nur das Angebot an psychoaktiven Substanzen ist größer denn je. In einer nach wie vor wohlhabenden, aber zunehmend vulnerablen Gesellschaft dürfte auch die Nachfrage weiter steigen.

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Die Ampel hört lieber auf die Rauschgiftlobby

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22.03.2024

Rauschgiftpolitik ist keines der Politikfelder, auf dem Nachwuchskräfte Schlange stehen, um sich für höhere Aufgaben zu bewähren. Warum auch? Zu gewinnen gibt es nicht viel, zu verlieren umso mehr. Politiker können den Umgang der Gesellschaft mit psychoaktiven Substanzen meist nur zu einem kleinen Teil beeinflussen, und wer es doch versucht, der macht sich bei der notwendigen Abwägung konkurrierender Güter schnell mehr Feinde als Freunde.

Was gesundheitspolitisch vielleicht opportun erscheint, ist womöglich kriminalpolitisch bedenklich. Was dem einen als Übergriff des Staates in die Sphäre persönlicher Freiheit gilt, halten andere für eine Pflicht des Staates, Leib und Leben seiner Bürger zu schützen. Im Ergebnis war der politische Umgang mit Rauschgiften über Jahrzehnte ein klassischer Anwendungsfall sogenannter inkrementaler Politik, die auf möglichst wenige und stets behutsame Änderungen setzte.

So war es in........

© Frankfurter Allgemeine


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