Wie in jeder Christnacht, so werden auch am Ende dieses Jahres in den Kirchen rund um den Globus jene Worte widerhallen, die die Sehnsucht nach Frieden durch alle Zeiten tragen. Mit jahrtausendealten Worten eines jüdischen Propheten wird ein neuer Anfang durch ein göttliches Zeichen beschworen: Eine junge Frau werde einen Sohn gebären, der als Herrscher das Gute zu wählen und das Böse zu verabscheuen wisse.

Doch ob gesprochen oder gesungen – leicht über die Lippen kommen dürften diese Worte auch am Ende dieses Jahres kaum jemandem. Manch einem werden sie vielleicht sogar in der Kehle stecken bleiben. Und dies wohl nicht, weil die Aura des ersehnten Messias mit Wortpaaren beschrieben wird, die wie ein Märchen aus uralter Zeit klingen: Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott, Ewiger Vater und Fürst des Friedens. Eher ist es der Name, den der Prophet Jesaja dem Heilsbringer gegeben hat: Immanuel, also „Gott mit uns“.

So wohlklingend die Namen, so bitter ist der Kontrast mit einer Welt, an deren offenkundig heillosem Zustand sich seit den Weissagungen des Propheten nichts geändert hat. Mehr noch: Ist Immanuel nicht selbst eine Chiffre für das schlechthin Böse in der Welt geworden, wenn Menschen im Namen Gottes quälen, foltern, morden? Gott mit uns – mit den anderen nicht!

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So könnte es schon damals gewesen sein, in den Tagen des Jesaja. Damals kämpfte auf einer schmalen Landbrücke zwischen einem Fluss und dem Meer ein kleines Volk um sein Überleben zwischen rivalisierenden Mächten im Süden und im Osten. Ist es nicht heute wieder so, wenn nicht noch dramatischer, weil sich die Anspruchssphären gleich drei monotheistischer Religionen in unheilsträchtiger Weise überlagern?

Den ersten Tempel der Juden zerstörten die Babylonier, den zweiten die Römer. Arabische Eroberer errichteten an derselben Stelle den Felsendom. Die Rückeroberung Jerusalems durch christliche Kreuzzügler („Gott will es“) war nicht von Dauer. Nach der Schoa kehrten die Überlebenden der jüdischen Diaspora nach „erez Israel“ zurück. Gleich dreimal scheiterte seither der Versuch, den jungen Staat vom Erdboden zu tilgen. In diesen Tagen sterben Abertausende Palästinenser, nachdem ihresgleichen mehr als tausend jüdische Zivilisten ermordet und Hunderte verschleppt haben. Gott mit wem?

Nicht genug damit, dass sich religiös aufgeladene Machtansprüche seit Jahrtausenden dort entladen, wo Geographie und Geschichte eine unheilträchtige Melange bilden. Keine Religion ist davor gefeit, von säkularen Mächten im Kampf um politische und kulturelle Hegemonie in den Dienst genommen zu werden. Das gilt für den muslimisch geprägten Raum zwischen dem Atlantik und dem Indischen Ozean nicht weniger als für das christliche Abendland.

Dessen Stunde schlug indes eher in jüngerer Zeit. Das erste Jahrtausend nach der Geburt dessen, in dem die Christen den verheißenen Messias erkannten, überlebten sie im äußersten Westen der eurasischen Landmasse. Die europäische Expansion im ausgehenden Mittelalter stand zunächst im Zeichen der Suche nach neuen Wegen, die zu irdischen Schätzen führten. Die Ausbreitung des Christentums kam erst ins Spiel, als Eroberer und Siedler Fakten geschaffen hatten.

Als christlicher Schlachtruf machte „Gott mit uns“ erst in der Neuzeit Karriere. Von den protestantischen Schweden übernahmen es die preußischen Könige als ihren Wahlspruch, der im Kampf gegen Napoleon deutsche Gläubige mobilisieren sollte. Selbst in den Kriegen des 20. Jahrhunderts zogen noch Millionen Soldaten ins Feld, auf deren Koppelschlössern entweder die Kaiserkrone prangte oder der Parteiadler der NSDAP mit Hakenkreuz. Eines blieb gleich: „Gott mit uns“.

Gibt es angesichts einer solchen Geschichte nicht Anlass zu Zuversicht, wenn an die Stelle der Hoffnung auf eine Zivilisierung von Religionen immer mehr Zivilisationen treten, in denen die Sphäre der Religion von der des Staates und der Gesellschaft streng geschieden ist? In denen es keine christlichen Patriarchen mehr gibt, die Waffen segnen, keine Mullahs, die zum Völkermord aufrufen, keine Imame, die sich als Hassprediger gefallen?

Der Gedanke klingt verführerisch, und doch geht die Wette nicht auf. Müsste es nicht skeptisch stimmen, dass Gewaltherrscher seit allen Zeiten nichts so sehr fürchteten wie die Macht von Religionen? Mögen sie sich in Geschichte und Gegenwart als noch so janusköpfig erweisen und noch so korrumpierbar – ob eine Welt eine bessere wäre, in der Menschen inmitten aller Dunkelheiten des Lebens nicht mehr an einen Gott glauben, der in jedem Kind geboren werden kann, auf dass es das Gute wählt und das Böse verabscheut, steht noch dahin.

QOSHE - Gott mit uns - Daniel Deckers
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Gott mit uns

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24.12.2023

Wie in jeder Christnacht, so werden auch am Ende dieses Jahres in den Kirchen rund um den Globus jene Worte widerhallen, die die Sehnsucht nach Frieden durch alle Zeiten tragen. Mit jahrtausendealten Worten eines jüdischen Propheten wird ein neuer Anfang durch ein göttliches Zeichen beschworen: Eine junge Frau werde einen Sohn gebären, der als Herrscher das Gute zu wählen und das Böse zu verabscheuen wisse.

Doch ob gesprochen oder gesungen – leicht über die Lippen kommen dürften diese Worte auch am Ende dieses Jahres kaum jemandem. Manch einem werden sie vielleicht sogar in der Kehle stecken bleiben. Und dies wohl nicht, weil die Aura des ersehnten Messias mit Wortpaaren beschrieben wird, die wie ein Märchen aus uralter Zeit klingen: Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott, Ewiger Vater und Fürst des Friedens. Eher ist es der Name, den der Prophet Jesaja dem Heilsbringer gegeben hat: Immanuel, also „Gott mit uns“.

So wohlklingend die Namen, so bitter ist der Kontrast mit einer Welt, an deren offenkundig heillosem Zustand sich seit den Weissagungen des Propheten nichts geändert hat. Mehr noch: Ist Immanuel nicht selbst eine Chiffre für das schlechthin Böse in der Welt geworden, wenn Menschen........

© Frankfurter Allgemeine


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