Zickzack ist das Markenzeichen der Ampelkoalition geworden: Erst bremste sie die Anhebung des CO2-Preises, nun soll er beschleunigt steigen. Erst sollten Agrarsubventionen gestrichen werden, nun läuft der Teilrückzug. Das sind aber nur zwei aktuelle Beispiele. Tatsächlich hat sich dieses Politikmuster nicht erst mit dem Druck der Bauernproteste und der verfas­sungs­­ge­richt­lich erzwungenen „Haushaltswende“ etabliert. Die Migrationspolitik etwa entwickelte sich ähnlich.

Den vielleicht wildesten Zickzackkurs schlugen SPD, Grüne und FDP aber schon früh im Jahr 2022 mit der Grundsicherung für Ar­beitssuchende ein, die nun „Bürgergeld“ heißt. Erst schaffte man Sanktionen gegen Ar­beits­verweigerer ab. Dann führte man sie in leicht abgemilderter Form wieder ein. Und nun will man „Totalverweigerern“ das Geld ganz streichen; was kurz zuvor noch – angeblich – verfassungswidrig war. Es wurden Änderungsgesetze in Serie auf dem Weg gebracht, aber welches sozialpolitische Leitbild dahintersteht, ist ungeklärt: Ist es das Motto „Arbeit soll sich lohnen“ oder doch eher die Utopie des bedingungslosen Grundeinkommens?

Darin zeigt sich die politsche Tragik, in die sich die drei ungleichen Parteien auch schon vor dem unseligen Heizungsgesetz verstrickt hatten. Gestartet waren sie mit der Mission, in ihrer Unterschiedlichkeit nicht nur Abbild wachsender Gegen­sätze in der Gesellschaft zu sein. Nein, sie würden stellvertretend zeigen, wie man diese Gegensätze auf kultivierte Art überwindet und zu innovativen, fortschrittlichen Lösungen kommt.

Doch dann wur­de fast jeder Lösungsversuch, egal auf welchen Politikfeld, zum Schaukampf für die eigenen Gefolgschaften; zum Schaukampf darum, wer seine Ausgangs­position am besten vor Kompro­mis­sen schützt – also vor Innovation und Fortschritt, wenn man die ursprüngliche Diktion bemüht. Hinzu kam eine im grünen Lager verbreitete Selbstgewissheit, moralisch überlegene Po­si­tionen zu vertreten, deren Wert nicht nur an politischen Mehrheiten zu messen sei. Die Koalition hätte sich für ihre Arbeit besser von Beginn diese Nebenbedingung verordnet: Solange die drei Parteien keinen gemeinsamen Plan haben, fassen sie gar keine Beschlüsse.

Natürlich gab es durch Krieg und Krisen Sachzwänge, die keinerlei Aufschub erlaubten. Doch in der Sozialpolitik galt das nicht – erst recht nicht für die Frage, wie die Grundsicherung für Arbeitssuchende in ihren Strukturen geändert werden könnte. Denn sie funktionierte ja, auch wenn es natürlich Ansatzpunkte für Reformen gibt. Da wäre das unkoordinierte Neb­en­­ein­an­der von Bür­ger­geld, Wohngeld und Kinderzuschlag, das Leistungsbezieher mit einem Sozialstaats-Dschungel konfrontiert, statt ihnen Aufstieg durch Arbeit leicht zu machen. Doch um diesen Auftrag aus dem Koalitionsvertrag drücken sich Arbeitsminister Heil und die rot-grünen Teile der Ampel bis heute herum.

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Die FDP hingegen trug erst einmal gutgläubig das von den Grünen geforderte „Sanktionsmoratorium“ mit und dann den Umstieg zum erhöhten Bürgergeld. So wurde die Idee einer austarierten Gesamtreform, die Lagergrenzen überwindet, schleichend zur Illusion. Und mit dem unausgegorenen Projekt „Kindergrundsicherung“ wurde die Schieflage noch größer: Gerade hatte die Ampel angekündigt, dass mit der Bürgergeldreform das angeblich unfaire Hartz-IV-System überwunden sei, da zogen die Grünen in den Kampf für jene Kindergrundsicherung – um mit neuen Milliardenausgaben alle Kinder aus dem angeblich unfairen Bürgergeld „herauszuholen“.

Dass dieses Projekt auch noch die Jobcenter zu behindern und Integration in Arbeit zu erschweren droht, fügt der missratenen rot-grün-gelben Sozialpolitik nur einen weiteren Aspekt hinzu. Im Grunde bedarf es aber gar keiner Bewertung der Einzelrezepte, die hier aufeinandertrafen, um festzustellen: Schlechter als es diese Koalition anstellt, kann es kaum laufen. Sie erhöht Sozialausgaben und senkt zugleich das Vertrauen der Bürger, dass der Sozialstaat funktioniert.

Da wäre es wirklich besser gewesen, gar nichts zu beschließen, bis ein insgesamt stimmiges Konzept erarbeitet ist, das alle drei Partner als innovativ vertreten können. Haushaltsnot stand solcherart Sorgfalt jedenfalls nicht im Weg, und die Wähler hätten Zögern gewiss besser honoriert als Zickzack. Als Erklärung für das miese Erscheinungsbild der Ampel werden zumeist kleingeistige Eifersüchtelei unter den drei Parteien und Führungsschwäche des Bundeskanzlers angeführt. In der fürs allgemeine Stimmungsbild wichtigen Sozialpolitik muss sich aber auch der oft als „Aktivposten“ im Kabinett gerühmte Hubertus Heil die Frage gefallen lassen, welche Verantwortung er als federführender Minister eigentlich an diesem Durcheinander trägt.

QOSHE - Der Umgang der Ampel mit dem Bürgergeld zeigt, wie Politik missraten kann - Dietrich Creutzburg, Berlin
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Der Umgang der Ampel mit dem Bürgergeld zeigt, wie Politik missraten kann

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26.01.2024

Zickzack ist das Markenzeichen der Ampelkoalition geworden: Erst bremste sie die Anhebung des CO2-Preises, nun soll er beschleunigt steigen. Erst sollten Agrarsubventionen gestrichen werden, nun läuft der Teilrückzug. Das sind aber nur zwei aktuelle Beispiele. Tatsächlich hat sich dieses Politikmuster nicht erst mit dem Druck der Bauernproteste und der verfas­sungs­­ge­richt­lich erzwungenen „Haushaltswende“ etabliert. Die Migrationspolitik etwa entwickelte sich ähnlich.

Den vielleicht wildesten Zickzackkurs schlugen SPD, Grüne und FDP aber schon früh im Jahr 2022 mit der Grundsicherung für Ar­beitssuchende ein, die nun „Bürgergeld“ heißt. Erst schaffte man Sanktionen gegen Ar­beits­verweigerer ab. Dann führte man sie in leicht abgemilderter Form wieder ein. Und nun will man „Totalverweigerern“ das Geld ganz streichen; was kurz zuvor noch – angeblich – verfassungswidrig war. Es wurden Änderungsgesetze in Serie auf dem Weg gebracht, aber welches sozialpolitische Leitbild dahintersteht, ist ungeklärt: Ist es das Motto „Arbeit soll sich lohnen“ oder doch eher die Utopie des bedingungslosen Grundeinkommens?

Darin zeigt sich die politsche Tragik, in die sich die drei ungleichen Parteien auch schon vor dem unseligen........

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