Es gibt gute Gründe für die Ampel, ihr Bündnis infrage zu stellen. Einer der stärksten ist zugleich der jüngste. 60 Milliarden Euro für den Klimafonds nicht mehr zur Verfügung zu haben und eine Haushaltsperre, die offenbar für nahezu den gesamten Bundeshaushalt gilt, sind mehr als eine „dornige Chance“, als die Christian Lindner einst Probleme schönredete.

Einer Reihe von Projekten, die vor allem den Grünen und der SPD-Linken am Herzen liegen, ist erst einmal die Finanzierungsgrundlage entzogen. Das Rütteln an der Schuldenbremse, von den Jusos über die SPD-Vorsitzende Esken bis zu den Grünen, wird immer heftiger. Der Finanzminister von der FDP, aber auch der Kanzler halten dagegen. Die Risse gehen quer durch das Regierungsbündnis.

Jenseits von diesen konkreten Problemen weiß nun wirklich auch der letzte Schönredner, dass die aus der mathematischen Not geborene „Fortschrittskoalition“ einen groben Webfehler hat, was die Prioritätensetzung angeht: Der Wunsch nach finanzieller Stabilität steht dem Eintreten für Schuldenaufnahme im Namen von Ökologie und Sozialstaat entgegen. Der Streit zwischen den Partnern nimmt Fahrt auf. Am Montag wurde Kritik aus der SPD-Linken an Sozialkürzungsforderungen der FDP schon mit dem Hinweis auf den Zusammenhalt der Koalition verbunden.

Man kann die Geschichte auch aus anderer Perspektive erzählen. Diese Koalition hat einiges hinbekommen. Die Reaktion auf den russischen Überfall auf die Ukraine – vor allem Waffenlieferungen bis hin zu Kampfpanzern – funktioniert bis heute ohne nennenswerte Friktionen. Und wer hätte es für möglich gehalten, dass Deutschland innerhalb weniger Monate auf russisches Gas verzichten kann, ohne dass jemand kalt duschen muss?

Noch andere Defizite der Ära Merkel wurden beseitigt. Deutschland, das händeringend Arbeitskräfte sucht, hat endlich ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz beschlossen, das hoffentlich die illegale in Richtung legaler Migration verschiebt. Oder: Eines der entscheidenden Hindernisse für die Akzeptanz der Energiewende, die den Strompreis für die Verbraucher nach oben treibende EEG-Umlage, wurde still und leise von der Ampel abgeschafft, nachdem Merkels Regierungen das nicht hinbekommen hatten.

Aber der Zusammenhalt einer Koalition bemisst sich nicht nach der Auflistung von Erfolgen oder Misserfolgen. In Deutschland sind koalitionäre Regierungsbündnisse im zurückliegenden halben Jahrhundert gerade zweimal vor der Zeit auseinandergegangen: 1982 und 2005. Regierungsbündnisse enden nur, wenn die maßgeblichen Akteure sich entweder einen Vorteil versprechen oder vor einem schlimmeren Schicksal retten wollen.

Für wen würde das derzeit gelten? Für die SPD sicher nicht. Sowohl der von ihr gestellte Kanzler als auch seine Partei stehen in den Umfragen derart lausig da, dass eine Beendigung des Bündnisses mit den zerstrittenen grünen und gelben Partnern direkt in ein politisches Minenfeld führen würde. Scholz hat zwar eine Mehrheit mit der Union im Bundestag und könnte sich in eine große Koalition retten. Aber das wäre der sprichwörtliche Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Denn die Union lässt keinen Zweifel daran, dass sie Scholz nur für eine begrenzte Zeit stützen würde. Dann wäre eine vorgezogene Bundestagswahl fällig.

Dass die SPD – Kanzlerbonus hin, Scholz’scher Superoptimismus her – dabei vor der CDU landen würde, ist angesichts der derzeitigen Umfragen schwer vorstellbar. Scholz würde als Kanzler in der Liga von Ludwig Erhard und Kurt Georg Kiesinger landen. Höchstens für Friedrich Merz, den CDU-Vorsitzenden, könnte das eine attraktive Möglichkeit sein, ein langes Ringen um die Kanzlerkandidatur zu vermeiden und in einem Überraschungscoup Kanzlerkandidat zu werden.

Die Grünen, die nach den Kanzlerträumen vor zwei Jahren längst auf dem Boden der Umfragetatsachen angekommen sind, haben auch keinen triftigen Grund, die Koalition zu verlassen. Nach 16 Jahren Opposition sind sie vor zwei Jahren wieder an die Tröge der Macht gekommen. Sich jetzt von diesen abzuwenden würde in eine ungewisse Zukunft führen. Wie auch immer die nächste Bundestagswahl ausgeht, vier Jahre Ampel werden sie vollmachen wollen.

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Bleibt die FDP. Sowenig komfortabel es in der Koalition für sie ist neben SPD und Grünen: Man regiert, wenn auch eine Landtagswahl nach der anderen übel geendet ist. Die Umfragen sind gefährlich nahe an der Fünfprozentmarke. Ein Sprung von Bord wäre hochriskant und würde den Ruf festigen, dass Christian Lindner – erinnert sei an das Jamaika-Aus – in schwierigen Situationen kneift. Das würde er nur riskieren, wenn er glaubte, damit ein Ausscheiden aus dem Bundestag bei der nächsten Wahl weniger wahrscheinlich zu machen. Ein außerparlamentarisches Trümmerfeld wird er nicht hinterlassen wollen, ganz gleich, wie seine eigene Zukunft aussieht.

QOSHE - Rissig, aber haltbar - Eckart Lohse, Berlin
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Rissig, aber haltbar

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21.11.2023

Es gibt gute Gründe für die Ampel, ihr Bündnis infrage zu stellen. Einer der stärksten ist zugleich der jüngste. 60 Milliarden Euro für den Klimafonds nicht mehr zur Verfügung zu haben und eine Haushaltsperre, die offenbar für nahezu den gesamten Bundeshaushalt gilt, sind mehr als eine „dornige Chance“, als die Christian Lindner einst Probleme schönredete.

Einer Reihe von Projekten, die vor allem den Grünen und der SPD-Linken am Herzen liegen, ist erst einmal die Finanzierungsgrundlage entzogen. Das Rütteln an der Schuldenbremse, von den Jusos über die SPD-Vorsitzende Esken bis zu den Grünen, wird immer heftiger. Der Finanzminister von der FDP, aber auch der Kanzler halten dagegen. Die Risse gehen quer durch das Regierungsbündnis.

Jenseits von diesen konkreten Problemen weiß nun wirklich auch der letzte Schönredner, dass die aus der mathematischen Not geborene „Fortschrittskoalition“ einen groben Webfehler hat, was die Prioritätensetzung angeht: Der Wunsch nach finanzieller Stabilität steht dem Eintreten für Schuldenaufnahme im Namen von Ökologie und Sozialstaat entgegen. Der Streit zwischen den Partnern nimmt Fahrt auf. Am Montag wurde Kritik aus der SPD-Linken an Sozialkürzungsforderungen der FDP schon mit dem Hinweis auf den Zusammenhalt der........

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