Läuft der Linksterrorismus jetzt etwa wieder frei herum, frech erhobenen Hauptes? Eigentlich wähnte man das Kapitel „Rote Armee Fraktion“ (RAF) seit deren Selbstauflösung 1998, über welche die Öffentlichkeit in einem ausführlichen, vom 20. April, Hitlers Geburtstag, datierenden Schreiben eigens in Kenntnis gesetzt wurde, als abgeschlossen. Jedoch schreckte schon ein gutes Jahr später ein Raubüberfall, bei dem Ernst-Volker Staub und Daniela Klette von der so genannten dritten RAF-Generation Spuren hinterlassen hatten, die Behörden neuerlich auf, genauso wie drei weitere 2015/16, an denen zusätzlich der gleichfalls gesuchte Burkhard Garweg beteiligt war. Die kurzzeitig durch die Information, dass alle Überfälle dem Unterhalt eines Lebens im Untergrund dienten, in Kraft getretene politische Entwarnung scheint nun, nach der eher zufälligen Verhaftung Daniela Klettes, wieder obsolet.

Die Heftigkeit, mit welcher der linksextremistische Terror ins öffentliche Bewusstsein zurückgekehrt ist, mag auch damit zu tun haben, dass die politische Klasse ihn und nicht etwa den rechtsextremistischen lange Zeit als die größte Gefahr für die innere Sicherheit ansah. Überraschend ist sie gleichwohl. Zweierlei fällt dabei auf: die, vorsichtig formuliert, Hilflosigkeit der Ermittler; und eine gewisse moralische Wucht, die der Debatte jetzt einschlägig ist, erkennbar schon an dem Vorschlag des bayerischen Innenministers Joachim Herrmann, ein Mahnmal für die 34 Todesopfer der RAF zu errichten.

Was letzteres angeht, so wäre die Frage, wozu das gut sein soll. Dass die RAF so viele Menschen ermordet hat, von denen jeder einer zu viel ist, wird niemand, der bei klarem Verstand ist, vergessen und, sofern ihm das überhaupt zusteht, auch nicht entschuldigen oder verzeihen. Die Motive, aus denen heraus diese Taten, von denen bisher nur eine einzige, nämlich der von der zweiten Generation zu verantwortende Mord am damaligen Dresdner-Bank-Vorstandssprecher Jürgen Ponto im Juli 1977, aufgeklärt ist, sind weitgehend bekannt. Die RAF suchte sich ihre Opfer nicht daraufhin aus, ob sie ihr besonders unsympathisch waren, sondern ausschließlich nach ihrer Funktion: als Repräsentanten eines von Grund auf abgelehnten politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systems, „Schweinesystem“ genannt; das schloss Fahrer und Leibwächter, die es in einem grauenhaften Sinne zufällig erwischte, mit ein. Was missbilligend über all das zu sagen ist, wurde und wird weiterhin gesagt. Ein „Mahnmal“ würde hier irgendwie banal wirken, abgesehen davon, dass es auch reichlich spät käme.

Ohnehin wird die Erinnerung maßgeblich von Michael Buback, dem Sohn des 1977 erschossenen damaligen Generalbundesanwalts Siegfried Buback, wachgehalten, der sich auch jetzt wieder in besonnenen Interviews zu Wort meldet. Ihnen ist ein Argumentationsmuster zu entnehmen, das immer noch kennzeichnend ist für den Umgang mit der RAF und auf die oben erwähnte Hilflosigkeit der Behörden zurückführt: Dass Buback zu Protokoll gibt, er erwarte sich von der festgenommenen Klette keinerlei Aufklärung über irgend etwas, indem sie sich wahrscheinlich an die Regel halte, keine Kameraden zu verpfeifen, bestätigt unfreiwillig das Fortwirken der alten, doch etwas weltfremd wirkenden Erwartung gerade an diese Täter, sie müssten bei der Aufklärung ihrer eigenen Taten behilflich sein.

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Man kann nur vermuten, woher sie kommt: Bis heute kann sich die breite Öffentlichkeit nicht vorstellen, dass unser System von Menschen so strikt abgelehnt wird, dass sie dabei zum Äußersten gehen und anschließend, nach Verbüßung ihrer Haftstrafen, bei denen es im Zweifels- und ja Regelfall einmal lebenslänglich mehr als weniger sein durfte, auf Versöhnung keinen Wert legen – weil sie, anders, als die Öffentlichkeit das will, ihre Taten vielleicht bereuen, aber nicht als (politischen) Irrtum erkennen. Außer bei Peter-Jürgen Boock stehen die Fronten nämlich noch; die auch sonst auf Versöhnung großen Wert legende Mehrheitsgesellschaft begreift es bloß nicht und wartet vergeblich auf Umkehr.

Während die Aufklärungsquote der Polizei, die in ihrer Klage über mangelnde Ausrüstung nun dasteht wie die doch auch kriegstauglich zu machende Bundeswehr, lächerlich gering ist, bittet man die Täter insgeheim immer noch um Mithilfe. Wieso sollten die sich aber über den rechtsstaatlichen Grundsatz, wonach niemand sich selbst belasten muss, jetzt auf einmal hinwegsetzen? Damit verkennt man den (einstigen) Ernst der Lage.

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Der Ernst der Lage

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04.03.2024

Läuft der Linksterrorismus jetzt etwa wieder frei herum, frech erhobenen Hauptes? Eigentlich wähnte man das Kapitel „Rote Armee Fraktion“ (RAF) seit deren Selbstauflösung 1998, über welche die Öffentlichkeit in einem ausführlichen, vom 20. April, Hitlers Geburtstag, datierenden Schreiben eigens in Kenntnis gesetzt wurde, als abgeschlossen. Jedoch schreckte schon ein gutes Jahr später ein Raubüberfall, bei dem Ernst-Volker Staub und Daniela Klette von der so genannten dritten RAF-Generation Spuren hinterlassen hatten, die Behörden neuerlich auf, genauso wie drei weitere 2015/16, an denen zusätzlich der gleichfalls gesuchte Burkhard Garweg beteiligt war. Die kurzzeitig durch die Information, dass alle Überfälle dem Unterhalt eines Lebens im Untergrund dienten, in Kraft getretene politische Entwarnung scheint nun, nach der eher zufälligen Verhaftung Daniela Klettes, wieder obsolet.

Die Heftigkeit, mit welcher der linksextremistische Terror ins öffentliche Bewusstsein zurückgekehrt ist, mag auch damit zu tun haben, dass die politische Klasse ihn und nicht etwa den rechtsextremistischen lange Zeit als die größte Gefahr für die innere Sicherheit ansah. Überraschend ist sie gleichwohl. Zweierlei........

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