Kant hat, darin liegen seine Stärke, aber auch seine Schwäche, ja aus allem ein Problem gemacht, wie nicht nur seine unnötig pedantischen Auslassungen über den an sich doch so erfreulichen Bereich der Sexualität zeigen, über die wir in unserer Samstagsausgabe ausführlich berichteten (über Kant und seine ganzen Auslassungen, nicht über die Sexualität als solche). Vielleicht dürfen wir an dieser Stelle ausnahmsweise – und der Anlass dazu ist ja bedeutend genug – in eigener Sache sprechen, indem wir darauf hinweisen, dass diese Berichterstattung nicht ohne Folgen geblieben ist. Wie es sich für Kant-Spezialisten gehört, kam uns ein Leser mit Zweifeln: Er habe ja gar nicht gewusst, dass Kant Linkshänder gewesen sei, worauf eine unserer Abbildungen immerhin hindeute.

Um die Wahrheit zu sagen – und nichts als die Wahrheit kommt ja bei dieser kleinen Nachlese zu dem Mann, der das Lügen so von Grund auf ablehnte, in die Tüte –: Ganz sicher wissen wir es auch nicht. Die meisten Abbildungen, die wir noch einmal in Augenschein genommen haben, zeigen ihn als Rechtshänder. Aber was heißt das schon? Vielleicht war es so ähnlich wie neulich bei dem Foto mit Prinzessin Kate, wo mit den Händen auch etwas nicht stimmte? Nachdem aber zu dieser Frage wie zu unendlich vielen anderen auch keine Kantischen Selbstauskünfte vorliegen und der biographischen Literatur auf die schnelle diesbezüglich nichts zu entnehmen war, sehen wir uns gezwungen, eine seiner Schriften zur Hand zu nehmen, wobei wir gerne zugeben, dass der entscheidende Hinweis von eben jenem Leser stammt, der uns überhaupt erst mit der Nase auf die Hand-Problematik gestoßen hat.

Nun denn, die Schrift ist von 1768 – die eigentlichen Kracher kamen also erst noch –, und heißt „Von dem ersten Grunde des Unterschiedes der Gegenden im Raume“. „Gegenden“ meint hier nicht das, was wir heute darunter verstehen; aber darauf kommt es in dieser Abhandlung, in der er das Verhältnis von Räumlichkeit und Körpergefühl (nicht sexuell!) ganz gut in den Griff bekommt, nicht an. Es zählt eigentlich nur diese Stelle: „Da das verschiedene Gefühl der rechten und linken Seite zum Urtheil der Gegenden von so großer Nothwendigkeit ist, so hat die Natur es zugleich an die mechanische Einrichtung des menschlichen Körpers geknüpft, vermittelst deren die eine, nemlich die rechte Seite, einen ungezweifelten Vorzug der Gewandtheit und vielleicht auch der Stärke vor der linken hat. Daher alle Völker der Erde rechts sind (wenn man einzelne Ausnahmen bey Seite setzt, welche, so wie die des Schielens, die Allgemeinheit der Regel nach der natürlichen Ordnung nicht umstoßen können)“.

Der Leser mag, neben der hier absichtlich originalgetreu belassenen Schreibung, die Behauptung beanstanden, alle Völker wären „rechts“. Das kann man so natürlich nicht sagen, Kant meinte ja „rechtshändig“. Was uns so sicher macht, dass er es selbst auch und nicht etwa eine dieser Ausnahmen war, ist die Selbstverständlichkeit und auch Gelassenheit, mit der er dieses wahre Wort ausspricht. Zwar neigte er auch später nicht dazu, seine Bücher in der Ich-Form zu schreiben, aber als Freund der Wahrheit, der er nun einmal war, hätte er es bestimmt durchblicken lassen, wenn es anders gewesen wäre. Ganz sicher weiß man es vielleicht erst zum 400. Geburtstag. Von weiteren Fragen, insbesondere danach, ob Kant, wenn er schon kein Linkshänder gewesen sein soll, dann vielleicht geschielt habe, bitten wir höflichst abzusehen.

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Die zwei Hände des Immanuel Kant

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22.04.2024

Kant hat, darin liegen seine Stärke, aber auch seine Schwäche, ja aus allem ein Problem gemacht, wie nicht nur seine unnötig pedantischen Auslassungen über den an sich doch so erfreulichen Bereich der Sexualität zeigen, über die wir in unserer Samstagsausgabe ausführlich berichteten (über Kant und seine ganzen Auslassungen, nicht über die Sexualität als solche). Vielleicht dürfen wir an dieser Stelle ausnahmsweise – und der Anlass dazu ist ja bedeutend genug – in eigener Sache sprechen, indem wir darauf hinweisen, dass diese Berichterstattung nicht ohne Folgen geblieben ist. Wie es sich für Kant-Spezialisten gehört, kam uns ein Leser mit Zweifeln: Er habe ja gar nicht gewusst, dass Kant Linkshänder gewesen sei, worauf eine unserer Abbildungen immerhin hindeute.

Um die Wahrheit zu sagen – und nichts als die Wahrheit kommt ja bei dieser kleinen........

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