Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger hatte mit ihrer Forderung, auch Schüler auf den Kriegsfall vorzubereiten, in der Sache recht. Dass die hessische FDP-Vorsitzende trotzdem teils scharfe Kritik auslöste, lag nicht nur an ihrer etwas ungeschickten Formulierung, sondern auch an der faktischen Abschaffung der Wehrpflicht im Jahr 2011. Damit wurde nicht nur der Militärdienst aus der Mitte der Bevölkerung verdrängt, sondern auch das Bewusstsein, dass die Verteidigung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist.

Karin Prien, die schleswig-holsteinische Bildungsministerin (CDU), warf Stark-Watzinger Angstmache vor. Der zuständige Fachpolitiker der Unionsfraktion im Bundestag meinte, dass Kinder „schultüchtig und nicht kriegstüchtig“ gemacht werden müssten. Solche Töne war man früher von den Grünen gewohnt. Aber der politische Streit verläuft nicht mehr exakt an den alten parteipolitischen Grenzen entlang. Kein deutscher Politiker fordert Waffenlieferungen vehementer als der Grünen-Politiker Anton Hofreiter. Und dessen Parteifreund Robert Habeck wies viel früher als andere auf die Lage der Ukraine hin. Die Dynamik der Debatte in der deutschen Politik ist groß. Es scheint, als ginge sie über die pazifistischen Strömungen in der irrlichternden Sozialdemokratie hinweg.

Aber ist die über die Ukraine hinausreichende Gefahr auch in der deutschen Gesellschaft wirklich angekommen? Bislang interessierte es vor allem Autofahrer, Zugreisende und Transportunternehmen, dass Hessen ein bedeutendes, von großen Magistralen durchzogenes Transitland ist. Jetzt wird augenscheinlich, dass die zentrale geographische Lage des Landes auf dem Kontinent nicht nur eine verkehrspolitische, sondern auch eine militärische Dimension besitzt.

Mehr zum Thema

1/

Transitland Hessen : Militär auf der Durchreise

Präsidentin des Roten Kreuzes : „Für mehr als eine Katastrophe fehlt uns die Ausstattung“

Sanktionierte Güter an Bord : Zoll setzt Frachter aus Russland in Rostock fest

Das war im Kalten Krieg keine Erwähnung wert. An Autobahnbrücken standen gelbe Schilder, an denen sogar der potentielle Angreifer ablesen konnte, ob das Bauwerk der Belastung durch schwere Panzer standhielt. Das Bewusstsein für die Bedrohung aus dem Osten wird durch die Manöver, die jetzt auf unterschiedlichen Ebenen stattfinden, vielleicht ein Stück weit reanimiert.

Hinzu kommt der Aufbau der Heimatschutzregimenter. Es wird spannend sein zu sehen, ob die Anmeldungen freiwilliger Reservisten auch in anderen Teilen Deutschlands so unerwartet hoch sind wie in Hessen. Vielleicht sagen diese Zahlen ja mehr über den Behauptungswillen der Gesellschaft aus als Umfragen.

QOSHE - Der Wille zur Selbstbehauptung - Ewald Hetrodt
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Der Wille zur Selbstbehauptung

6 0
03.04.2024

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger hatte mit ihrer Forderung, auch Schüler auf den Kriegsfall vorzubereiten, in der Sache recht. Dass die hessische FDP-Vorsitzende trotzdem teils scharfe Kritik auslöste, lag nicht nur an ihrer etwas ungeschickten Formulierung, sondern auch an der faktischen Abschaffung der Wehrpflicht im Jahr 2011. Damit wurde nicht nur der Militärdienst aus der Mitte der Bevölkerung verdrängt, sondern auch das Bewusstsein, dass die Verteidigung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist.

Karin Prien, die schleswig-holsteinische Bildungsministerin (CDU), warf Stark-Watzinger Angstmache vor. Der zuständige Fachpolitiker der Unionsfraktion im........

© Frankfurter Allgemeine


Get it on Google Play