Dass die hessische SPD-Fraktion ihren Vorsitzenden Günter Rudolph in die Wüste geschickt hat, ist eine menschliche Respektlosigkeit, aber auch ein unfreundlicher Akt gegenüber dem Koalitionspartner CDU. Denn auf der Seite der Sozialdemokraten war Rudolph der Architekt des Bündnisses. Er wird dem Ministerpräsidenten Boris Rhein (CDU) fehlen. Aber die Stabilität der Koalition war der SPD offensichtlich nicht so wichtig wie es ihre parteipolitischen Perspektiven waren. Die sind allerdings nachvollziehbar.

Bei der nächsten Wahl wird Rudolph 72 Jahre alt und damit kein Zugpferd mehr sein. Darum wurde die herausgehobene Position des Fraktionsvorsitzenden mit einer Persönlichkeit besetzt, die in den nächsten fünf Jahren Anziehungskraft entwickeln soll. Zur Wahrheit gehört auch, dass Rudolph sich bei all seinen Verdiensten in der Fraktion nur knapp durchsetzen konnte, als er sich vor zwei Jahren um die Nachfolge der zur Bundesinnenministerin berufenen Nancy Faeser bewarb.

Nachhaltige Erschütterungen gab es übrigens in der zurückliegenden Wahlperiode auch in der CDU-Fraktion. Der frühere Landesvorsitzende und damalige Ministerpräsident Volker Bouffier löste sie aus, indem er den Abgeordneten der Union in robuster Manier Ines Claus als Chefin vorsetze. Zwei Jahre nach ihrem Amtsantritt musste die Fraktionsvorsitzende sich bei ihrer Wiederwahl mit einer schwachen Zustimmungsquote von nur 72,5 Prozent zufriedengeben – und dies ohne Gegenkandidaten. Dass Claus in dieser Woche knapp 94 Prozent der CDU-Abgeordneten das Vertrauen aussprachen, zeugt von der Dynamik, die dem politischen Geschäft innewohnt.

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Darum sollte man zunächst abwarten, wie sich der neue SPD-Fraktionsvorsitzende Tobias Eckert schlägt. Dass der bisherige wirtschaftspolitische Sprecher der Fraktion zum konservativen Flügel der Fraktion zählt, kommt der CDU entgegen. Für sie und die Koalition insgesamt war es Glück im Unglück, dass die eher zum linken Lager zählende Abgeordnete Lisa Gnadl in der Abstimmung knapp unterlag. Weitere Erkenntnisse verspricht die Wahl des Ministerpräsidenten an diesem Donnerstag. Wenn Rhein nicht alle Stimmen der Koalition bekommt, könnte die Debatte über die Verfassung der SPD weitergehen.

QOSHE - Die Machtinteressen der SPD - Ewald Hetrodt
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Die Machtinteressen der SPD

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17.01.2024

Dass die hessische SPD-Fraktion ihren Vorsitzenden Günter Rudolph in die Wüste geschickt hat, ist eine menschliche Respektlosigkeit, aber auch ein unfreundlicher Akt gegenüber dem Koalitionspartner CDU. Denn auf der Seite der Sozialdemokraten war Rudolph der Architekt des Bündnisses. Er wird dem Ministerpräsidenten Boris Rhein (CDU) fehlen. Aber die Stabilität der Koalition war der SPD offensichtlich nicht so wichtig wie es ihre parteipolitischen Perspektiven waren. Die sind allerdings nachvollziehbar.

Bei der nächsten Wahl wird Rudolph 72 Jahre alt und damit kein Zugpferd mehr sein. Darum wurde die........

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