Seit seinem Amtsantritt im Mai 2022 hatte der hessische Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) Grund zu der Hoffnung, eineinhalb Jahres später in seinem Amt bestätigt zu werden. So hatte er viel Zeit, darüber nachzudenken, welche Unionspolitiker seinem neuen Kabinett angehören sollten. Nicht in allen, aber in einigen Fällen verbindet er nun inhaltliche Strategien glaubwürdig mit Persönlichkeiten.

So baut Diana Stolz, die stellvertretende Landrätin des Kreises Bergstraße, ein Ministerium auf, das nicht nur für Familie, Senioren, Sport und Gesundheit, sondern auch für das immer wichtiger werdende Thema Pflege zuständig ist. Ingmar Jung, Bundestagsabgeordneter und Sohn eines Winzers, soll als Minister für Landwirtschaft und Umwelt die Landwirte wieder mit der CDU versöhnen. Sie nehmen es der Union übel, dass sie über ein Jahrzehnt hinweg eine grüne Ministerin mitgetragen hat, die konventionell wirtschaftende Bauern verzweifeln ließ.

Während Rhein über die acht von der Union gestellten Kabinettsmitglieder allein entscheiden konnte, redeten bei der Besetzung der drei SPD-Spitzenpositionen viele mit. Offensichtlich gab am Ende die Mitgliedschaft in den Führungsgremien der Parteiorganisation den Ausschlag. Dass der Bundestagsabgeordnete Kaweh Mansoori den Anspruch erhob, das umfassende Wirtschaftsministerium zu führen und stellvertretender Ministerpräsident zu werden, hängt vor allem mit seinem Amt als Vorsitzender des Parteibezirks Süd zusammen. Der machtbewusste Fünfunddreißigjährige ist schon heute der starke Mann in der hessischen SPD und dürfte im Frühjahr die Nachfolge der Landesvorsitzenden, Bundesinnenministerin Nancy Faeser, anstreben. Der Frankfurter Rechtsanwalt hat in großen Wirtschaftskanzleien gearbeitet. Er kennt die Materie und besitzt das Potential für die Aufgabe.

Der Bundestagsabgeordnete Timon Gremmels steht an der Spitze des nordhessischen Bezirks der SPD. Bislang hat er sich vor allem mit Energiepolitik beschäftigt. Welche inhaltliche Qualifikation er für Wissenschaft und Kunst mitbringt, ist nicht erkennbar. Das galt schon für seine Vorgängerin. Vor fünf Jahren bekam Angela Dorn (Die Grünen) das Amt, weil sie Parteivorsitzende war. Das aktuelle Chaos am Wiesbadener Staatstheater und Dorns totale Hilflosigkeit gegenüber dessen Intendanten Uwe Laufenberg belegen, wie wichtig es in diesem Amt wäre, sich in die Welt der Kultur wenigstens einfühlen zu können. Abermals zeigt sich heute, wie stiefmütterlich Wissenschaft und Kunst in der hessischen Politik behandelt werden.

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Heike Hofmann, die künftige Ministerin für Arbeit, Integration, Jugend und Soziales, verdankt ihr Amt ihrer Position als stellvertretende Bezirksvorsitzende in Südhessen. In ihrer Rolle als Obfrau der SPD im Untersuchungsausschuss zum Attentat von Hanau bot sie keinen Anlass für die Zuversicht, dass sie in ihrem Ministerium die schwierigste Aufgabe lösen wird, die sich der Koalition stellt: die Zuwanderung.

Beim Blick in das einschlägige Kapitel im Koalitionsvertrag „schüttelt es einen“, sagte Faeser im Dezember. Sie unterstrich, dass sie auf die Sozialdemokraten vertraue, die für dieses Thema zuständig sein würden. Diese Perspektive ist ebenso besorgniserregend wie die Tatsache, dass der sozialdemokratische Fraktionschef Günter Rudolph, einer der Wegbereiter des schwarz-grünen Bündnisses, dem Kabinett nicht angehört. Wenn den Sozialdemokraten etwas an dem Gelingen des schwarz-roten Bündnisses liegt, werden sie Rudolph wenigstens in seinem Amt an der Spitze der SPD-Fraktion bestätigen. Sicher ist das allerdings nicht.

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15.01.2024

Seit seinem Amtsantritt im Mai 2022 hatte der hessische Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) Grund zu der Hoffnung, eineinhalb Jahres später in seinem Amt bestätigt zu werden. So hatte er viel Zeit, darüber nachzudenken, welche Unionspolitiker seinem neuen Kabinett angehören sollten. Nicht in allen, aber in einigen Fällen verbindet er nun inhaltliche Strategien glaubwürdig mit Persönlichkeiten.

So baut Diana Stolz, die stellvertretende Landrätin des Kreises Bergstraße, ein Ministerium auf, das nicht nur für Familie, Senioren, Sport und Gesundheit, sondern auch für das immer wichtiger werdende Thema Pflege zuständig ist. Ingmar Jung, Bundestagsabgeordneter und Sohn eines Winzers, soll als Minister für Landwirtschaft und Umwelt die Landwirte wieder mit der CDU versöhnen. Sie nehmen es der Union übel, dass sie über ein Jahrzehnt hinweg eine grüne Ministerin mitgetragen hat, die konventionell wirtschaftende Bauern verzweifeln........

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