Ein Hoch auf die Historiker. Wie wichtig ihre Arbeit ist, zeigt sich gerade eindrucksvoll am Beispiel einer Studie aus Gießen im Auftrag des Landeswohlfahrtsverbands Hessen. Es geht um ein schreckliches Thema: In einer Klinik im Taunus, in der Kinder von Tuberkulose geheilt werden sollten, sind in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg mindestens vier junge Patienten ums Leben gekommen – in einer Versuchsreihe mit Medikamenten.

Der Ärztliche Direktor der Kinderheilstätte Mammolshöhe, Werner Catel, erprobte an den kranken Kindern seit 1947 ein Präparat zur Chemotherapie, das noch nicht auf dem Markt war. Die Eltern bat er nicht um Einwilligung, die Grenzen zwischen Heilversuch und Forschungsinteresse verschwammen.

Den Tod der Kinder nahm der Arzt in Kauf. Geschichtswissenschaftler der Universität Gießen haben das Wirken des Mannes jetzt für den Landeswohlfahrtsverband untersucht, zu dessen Vorgängerorganisation die Klinik mit den unethischen Tests gehörte.

Historiker sind Fachleute für Kontinuitäten und Brüche. Am Beispiel Catels führen die Gießener das par excellence vor. Im Nationalsozialismus hatte der Arzt Catel Kinder für die „Euthanasie“ begutachtet und töten lassen.

Die Forscher zeigen auf, dass er im Taunus an diesen Denkmustern festhielt: Ihm schien es gerechtfertigt, als minderwertig empfundene Patienten Risiken auszusetzen, um eine Therapie für andere zu entwickeln. Dafür tauschte er das Personal aus. So wird deutlich, wie ein Einzelner einen Bruch in einer Institution herbeiführen kann.

Jedenfalls dann, wenn alle rundherum wegschauen. Auch das wird an der Arbeit der Historiker deutlich, die bisher nur als Zusammenfassung veröffentlicht ist und im Herbst erscheinen soll. Ärzte, Pharmaunternehmen und Behörden rechtfertigten Catels Handeln oder befanden es sogar für gut.

Das Forschungsprojekt ist somit nicht nur wichtig für den Landeswohlfahrtsverband, der seine Vergangenheit lobenswerterweise und mit Geld auch vom hessischen Sozialministerium hat aufarbeiten lassen. Das Fallbeispiel zeichnet auch ein Muster, das auf viele Institutionen in der frühen Bundesrepublik passt: Täter wurden entlastet – und weiter eingesetzt. An dieser Stelle zeigt sich: Das Handwerk der Historiker wird gebraucht. Von allen.

QOSHE - Das Handwerk der Historiker - Florentine Fritzen
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Das Handwerk der Historiker

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25.04.2024

Ein Hoch auf die Historiker. Wie wichtig ihre Arbeit ist, zeigt sich gerade eindrucksvoll am Beispiel einer Studie aus Gießen im Auftrag des Landeswohlfahrtsverbands Hessen. Es geht um ein schreckliches Thema: In einer Klinik im Taunus, in der Kinder von Tuberkulose geheilt werden sollten, sind in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg mindestens vier junge Patienten ums Leben gekommen – in einer Versuchsreihe mit Medikamenten.

Der Ärztliche Direktor der Kinderheilstätte Mammolshöhe, Werner Catel, erprobte an den kranken Kindern seit 1947 ein........

© Frankfurter Allgemeine


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