Der Bundespräsident ist in der Türkei nicht mit dem erhobenen Zeigefinger aufgetreten. Frank-Walter Steinmeier hat den türkischen Präsidenten geradezu umarmt und seine Kritik an den undemokratischen Verhältnissen in Watte gepackt. Das muss nicht verkehrt sein. Moralpredigten haben in Ankara schon in der Vergangenheit nicht viel bewirkt. Ohnehin hat Deutschland als Anwalt für Menschenrechte selbst in den Augen regierungskritischer Türken wegen seiner Haltung zum Gazakrieg an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Auch ist es in der aktuellen Weltlage richtig, die Türkei enger an Europa binden zu wollen.

Doch muss man befürchten, dass hinter Steinmeiers freundlichen Worten die fehlgeleitete Ansicht steht, reden sei besser als streiten. Wie naiv das wäre, zeigte Recep Tayyip Erdoğan, indem er unter Deutschtürken einmal mehr Misstrauen gegen den deutschen Staat säte. Er stellte einen Brandanschlag, der Ende März in Solingen vier Menschen getötet hat, in eine Reihe mit den rassistischen Morden der Neunzigerjahre in Mölln und Solingen. Dabei haben die Ermittler noch keine Hinweise auf ein fremdenfeindliches Motiv. Erdoğan betrachtet Außenpolitik als Tauschgeschäft. Er will nicht Vertrauen aufbauen oder gemeinsame Interessen identifizieren, er will für jeden Schritt eine Gegenleistung erhalten. Der einzige Weg, damit umzugehen, ist, das Gleiche von ihm zu verlangen.

Mehr Eindruck als kritische Worte dürfte im Präsidentenpalast Steinmeiers Umgang mit der türkischen Opposition gemacht haben. Er traf gleich drei ihrer führenden Politiker sowie prominente Menschenrechtler, hielt sich aber mit Aussagen zu den Gesprächen zurück. So konnte er auf den politischen Wandel im Land hinweisen und der Opposition der Rücken stärken, ohne Erdoğan Angriffsfläche zu bieten.

Als Bundespräsident hat Steinmeier nur die Macht des Wortes und der Geste. Die setzte er allerdings nicht optimal ein. Schlecht beraten war er mit der Idee, in seinem Flugzeug 60 Kilo Dönerfleisch mitzunehmen. Zwar ist nichts dagegen einzuwenden, Einwandererfamilien zu würdigen, die aus kleinen Anfängen einen Milliardenmarkt geschaffen haben. Steinmeiers Team hätte aber wissen müssen, dass die kuriose Idee mit dem Dönerspieß zum Symbol seiner Reise werden würde. Dass in der Delegation auch Politiker, Unternehmer und Kulturschaffende mit türkischen Wurzeln mitreisten, ging dabei unter. Viele Deutschtürken fühlten sich verständlicherweise herabgewürdigt, weil sie seit Jahrzehnten auf das Dönerklischee reduziert werden.

Allzu banal wirkte auch Steinmeiers Besuch im Sirkeci-Bahnhof, von dem aus Hunderttausende sogenannte Gastarbeiter nach Deutschland aufbrachen. Das ist lange her, und seither hat sich viel verändert. Steinmeier hätte deren Nachkommen einen besseren Dienst erwiesen, wenn er den Blick auf die moderne Türkei gelenkt hätte, die mit dem Türkeibild in Deutschland kaum noch übereinstimmt. Die Sache wurde dadurch nicht besser, dass er in weichgespülten Floskeln ein imaginäres Wir beschwor. So entstand der Eindruck, dass er mit dem Rückgriff auf die Vergangenheit den aktuellen Problemen aus dem Weg gehen wollte. Sein Fokus auf das Verbindende hob sich wohltuend ab von den reflexhaften Reaktionen auf jede Erdoğan-Provokation. Doch neue Impulse konnte er kaum setzen.

QOSHE - Ein ungeschickter Besucher - Friederike Böge
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Ein ungeschickter Besucher

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26.04.2024

Der Bundespräsident ist in der Türkei nicht mit dem erhobenen Zeigefinger aufgetreten. Frank-Walter Steinmeier hat den türkischen Präsidenten geradezu umarmt und seine Kritik an den undemokratischen Verhältnissen in Watte gepackt. Das muss nicht verkehrt sein. Moralpredigten haben in Ankara schon in der Vergangenheit nicht viel bewirkt. Ohnehin hat Deutschland als Anwalt für Menschenrechte selbst in den Augen regierungskritischer Türken wegen seiner Haltung zum Gazakrieg an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Auch ist es in der aktuellen Weltlage richtig, die Türkei enger an Europa binden zu wollen.

Doch muss man befürchten, dass hinter Steinmeiers freundlichen Worten die fehlgeleitete Ansicht steht, reden sei besser als streiten. Wie naiv das wäre, zeigte Recep Tayyip Erdoğan, indem er unter........

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