Die glücklichste Zeit des Weltwirtschaftsforums in Davos waren vermutlich die Jahre vor dem Ausbruch der großen Finanzkrise. Damals hing der Himmel der Weltwirtschaft voller Geigen: Die Wirkmächtigkeit der liberalen, westlich geprägten Vision einer friedlichen Globalisierung nach dem Ende der Rivalität der großen Mächte erschien unerschütterlich. Auf den Podien im Konferenzzentrum beschrieben nicht zuletzt Repräsentanten der blühenden und ob ihrer Macht und ihrer hohen Einkommen be­neideten Finanzbranche mit gewichtigen Worten die glänzenden Aussichten einer vermeintlich heilen Welt.

Die Erschütterung dieser Vision durch die Finanzkrise schlug sich in Davos mit Verzögerung nieder. Während Prominente aus der Geldbranche, zumindest äußerlich durch die Krise keineswegs zerzaust, in Zeiten sehr niedriger Zinsen und Inflationsraten weiterhin die Welt erklärten und Vertreter bedeutender Öl- und Gasförderländer unverdrossen glitzernde Empfänge organisierten, wurden erst allmählich Bruchlinien sichtbar. Es waren vor allem die Schwellenländer mit China an der Spitze, die vernehmbar Vorbehalte gegenüber einer westlichen Weltsicht äußerten, auch wenn die grenzüberschreitenden Güterströme weiter zunahmen und die Kassen der Exportländer volltönend klingelten.

Die Präsidentschaft Donald Trumps, der zweimal nach Davos reiste, verstärkte ein Unbehagen am Zustand der Welt, aber als Zeitenwende erschienen seine leicht bizarren Auftritte nicht. Dass die Finanzbranche allmählich nicht mehr die erste Geige spielte und die von den Giganten aus dem Silicon Valley gesetzten Digitalthemen ebenso wie das Thema Nachhaltigkeit an Bedeutung gewannen (mitsamt einer peinlichen Ehrerbietung gegenüber Greta Thunberg), galt als Anerkenntnis des dynamischen Wandels der Welt.

Die Pandemie, der russische Krieg gegen die Ukraine und die mit der Rückkehr der Rivalitäten großer Mächte verbundenen Zweifel an der Globalisierung haben der alten Unbeschwertheit ein unerbittliches Ende bereitet. Russland ist derzeit nicht in Davos vertreten, während China nach einem dezenten Auftritt im vergangenen Jahr wieder sichtbarer Flagge zeigt. Vertreter von immerhin rund hundert Regierungen treffen sich in der kommenden Woche in dem Schweizer Kurort.

Die geopolitischen Spannungen lassen jedoch auch das Weltwirtschaftsforum nicht unbeeindruckt. Wo früher die Überzeugung herrschte, glücklich im globalen Strom des liberalen Zeitgeistes zu schwimmen, ist längst Nachdenklichkeit eingekehrt. „Wiederherstellung des Vertrauens“ lautet daher das Motto der diesjährigen Veranstaltung.

Das Forum bezieht seinen Wert immer noch in erster Linie daraus, dass es ein einzigartiges ist. Nirgends sonst finden so viele Vertreter unterschiedlicher Sphären wie Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft aus einer Vielzahl von Ländern in kurzer Zeit an einem kleinen Ort zusammen. Daher existiert bis heute auch keine wirkliche Konkurrenz zu der fünftägigen Veranstaltung.

Manchen Zeitgenossen, die in Graubünden nicht dabei sind, verursacht das Treffen Unbehagen; verhärmte Verschwörungstheoretiker wittern finstere Mächte am Werk, die angeblich nichts weniger als die Welt beherrschen wollen. Dabei findet das Forum zwar aus Sicherheitsgründen abgeschieden, aber keineswegs im Verborgenen statt. Medien aus allen Kontinenten berichten über die Veranstaltung; nicht wenige Programmpunkte werden per Livestream im In­ternet übertragen. Das Forum verändert nicht unmittelbar die Welt, aber es gestattet einen nationale Grenzen überschreitenden Austausch über sie. Das ist gerade in diesen Zeiten nicht wenig.

Wenn ein das Forum durch die Jahrzehnte tragender Geist von Davos existieren sollte, dann besteht er am ehesten in der Überzeugung, dass auch schwierige Zeiten wirtschaft­liche Chancen bieten und die Zukunft den Mutigen und nicht den Verzagenden und ewig Mäkelnden gehört. Wer erfolgreich wirtschaften will, muss ein widriges politisches Um­feld akzeptieren, aber er darf sich nicht in Düsternis verlieren.

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Die größten Veränderungen in der Menschheitsgeschichte bewirken weder Politik noch Ideen und Ideologien. Es ist der technische Fortschritt. Daher findet kein Thema in diesem Jahr so viel Aufmerksamkeit wie die Künstliche Intelligenz. Und weil die Rahmenbedingungen des Wirtschaftens zählen, beschäftigt sich das Forum mit Energie- und Rohstoffsicherheit, aber auch mit wirtschaftlichen Chancen des Klimawandels. Wo früher gesamtwirtschaftliche Betrachtungen dominierten, haben heute Themen wie Geopolitik und Geoökonomie Einzug ge­halten. Wenn Davos auch weiterhin mit der Zeit geht, muss es um seine Zukunft nicht fürchten.

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Was das Weltwirtschaftsforum in Davos bringt

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14.01.2024

Die glücklichste Zeit des Weltwirtschaftsforums in Davos waren vermutlich die Jahre vor dem Ausbruch der großen Finanzkrise. Damals hing der Himmel der Weltwirtschaft voller Geigen: Die Wirkmächtigkeit der liberalen, westlich geprägten Vision einer friedlichen Globalisierung nach dem Ende der Rivalität der großen Mächte erschien unerschütterlich. Auf den Podien im Konferenzzentrum beschrieben nicht zuletzt Repräsentanten der blühenden und ob ihrer Macht und ihrer hohen Einkommen be­neideten Finanzbranche mit gewichtigen Worten die glänzenden Aussichten einer vermeintlich heilen Welt.

Die Erschütterung dieser Vision durch die Finanzkrise schlug sich in Davos mit Verzögerung nieder. Während Prominente aus der Geldbranche, zumindest äußerlich durch die Krise keineswegs zerzaust, in Zeiten sehr niedriger Zinsen und Inflationsraten weiterhin die Welt erklärten und Vertreter bedeutender Öl- und Gasförderländer unverdrossen glitzernde Empfänge organisierten, wurden erst allmählich Bruchlinien sichtbar. Es waren vor allem die Schwellenländer mit China an der Spitze, die vernehmbar Vorbehalte gegenüber einer westlichen Weltsicht äußerten, auch wenn die grenzüberschreitenden Güterströme weiter........

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