Eine Börsennotierung ist kein Selbstzweck. Wachsende Aktiengesellschaften sollten sie vielmehr regelmäßig zur Eigenkapitalbeschaffung nutzen. Denn prinzipiell lassen sich neue Aktien recht leicht schaffen und dann über die Börse verkaufen. Doch auf diesem Aktienprimärmarkt herrscht in Deutschland Tristesse. Die Ursachen sind vielschichtig: Allen Dax-Rekorden zum Trotz ist die Zahl der börsennotierten Unternehmen von einst 700 auf 430 geschrumpft. Ein Grund dafür ist, dass Beteiligungsgesellschaften (Private Equity) erworbene Unternehmen gern von der Börse nehmen – dafür ist die Aareal Bank nur ein Beispiel aus dem Jahr 2023. Andere deutsche Unternehmen zieht es wie zuletzt Birkenstock, Linde und Biontech an den amerikanischen Aktienmarkt. Dort gibt es mehr interessierte Anleger mit tiefen Taschen und hoher Risikobereitschaft. Seit Jahren erwägen deshalb Biotechnikunternehmen für einen Börsengang ernsthaft nur die USA.

Doch über diese spezielle Branche hinaus fehlt es dem deutschen Aktienmarkt an Anziehungskraft. Ob Munich Re, Mercedes-Benz, Deutsche Bank, Commerzbank und nun Deutsche Börse – sie alle kaufen sogar eigene Aktien zurück und vernichten sie. 2023 erreichten dagegen die Zahl der Kapitalerhöhungen börsennotierter Unternehmen und das Aktienneuemissionsvolumen bei Börsengängen einen langjährigen Tiefstand. Das ist schlecht für eine Volkswirtschaft, deren Unternehmen in Digitalisierung und Energieeffizienz massiv investieren müssen. Dafür brauchen die Unternehmen nicht nur Bankenkredite, sondern auch Eigenkapital.

Die Wirtschaftsweisen haben in ihrem jüngsten Jahresgutachten angeregt, die Ausgabe von Aktien zu vereinfachen und damit die Kosten eines Börsenganges zu senken. Tatsächlich ist der Weg zur Deutschen Börse viel zu schwerfällig mit mehrwöchigen Fristen für die Bekanntmachung über die Prospektfestellung bis hin zur Werbetour vor Investoren. Hier wäre einerseits die Bundesregierung gefordert, Bürokratie abzubauen. Andererseits müssten die hoch bezahlten Investmentberater in den Banken den Börsenaspiranten mehr Wege zur Börse aufzeigen. Dazu zählt auch, mehr Zeitperioden im Jahr für einen Börsengang zu nutzen.

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Bisher gilt das Frühjahr als das „Zeitfenster“ der Wahl, weil dann die vom Wirtschaftsprüfer testierten Geschäftszahlen vom Vorjahr vorliegen, mit denen der Börsenkandidat für sich vor Anlegern werben soll. Doch mindestens so attraktiv für einen Börsengang ist oft das vierte Quartal eines Jahres. Dann ist das Angebot neuer Aktien geringer, die Kapitalmärkte oft sehr stabil und aufnahmebereit. Die durchaus namhaften Kandidaten von Douglas über Flixbus bis Techem, die für einen Börsengang im Jahr 2024 genannt werden, sollten sich auf jeden Fall sputen. Der Aufschwung am Aktienmarkt wird nicht ewig währen.

QOSHE - Nutzt die Börse! - Hanno Mußler
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Nutzt die Börse!

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05.01.2024

Eine Börsennotierung ist kein Selbstzweck. Wachsende Aktiengesellschaften sollten sie vielmehr regelmäßig zur Eigenkapitalbeschaffung nutzen. Denn prinzipiell lassen sich neue Aktien recht leicht schaffen und dann über die Börse verkaufen. Doch auf diesem Aktienprimärmarkt herrscht in Deutschland Tristesse. Die Ursachen sind vielschichtig: Allen Dax-Rekorden zum Trotz ist die Zahl der börsennotierten Unternehmen von einst 700 auf 430 geschrumpft. Ein Grund dafür ist, dass Beteiligungsgesellschaften (Private Equity) erworbene Unternehmen gern von der Börse nehmen – dafür ist die Aareal Bank nur ein Beispiel aus dem Jahr 2023. Andere deutsche Unternehmen zieht es wie zuletzt Birkenstock, Linde und Biontech an den amerikanischen Aktienmarkt. Dort........

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