Muss Deutschland mehrfach im Jahr Bahnstreiks ertragen wie Unwetter? Mit zunehmendem Fatalismus schicken sich die Kunden der Bahn in ihr Los, ändern Reisepläne, nehmen Umwege in Kauf und empfindliche Geschäftseinbußen. Die Regierung zuckt mit den Schultern und beschwört die grundgesetzlich geschützte Tarifautonomie. Die tastet sie sonst wenig zimperlich an, ob mit Mindestlohn- oder Tariftreuegesetzen. Auch die „Daseinsvorsorge“, die SPD und Grüne schnell anführen, um Eingriffe in Energie-, Wasser- oder Wohnungswirtschaft zu rechtfertigen, scheint trotz landesweiten Stillstands auf der Schiene kein Argument zum Handeln – ebenso wenig, dass es um einen Staatskonzern geht, in den sehr viel Steuergeld fließt.

Die Arbeitsgerichte sehen ebenfalls noch keinen Anlass, der Lokführergewerkschaft GDL Einhalt zu gebieten, anders als im Mai. Da hatten sie einen mehrtägigen Streik der konkurrierenden Eisenbahnergewerkschaft EVG kurzerhand unterbunden und die Tarifparteien dazu gebracht, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Diesmal hoffte man vergeblich, obwohl die Bahn an der Tariffähigkeit der GDL begründete Zweifel angemeldet hat. Denn die Lokführergewerkschaft ist nun zugleich Arbeitgeber, da sie über eine Genossenschaftskonstruktion Lokführer anstellt und verleiht.

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Arbeitsrichter und Politik sollten sich nicht wegducken. Sie sind mitverantwortlich für die Leichtfertigkeit, mit der vor allem im öffentlichen Sektor gestreikt wird. Arbeitsrechtler monieren schon lange, dass die Gerichte das Prinzip aufgeweicht haben, dass Streiks verhältnismäßig und letztes Mittel eines Tarifstreits sein müssen. Doch scheut sich auch die Ampel, faire, transparente Regeln durch ein Arbeitskampfgesetz zu gewährleisten.

Überdenken müsste sie zudem das Tarifeinheitsgesetz, das seit 2015 die Existenz kleiner Gewerkschaften bedroht, weil Unternehmen nur den Abschluss der größten anwenden müssen. Die Eskalation der Bahn-Arbeitskämpfe ist anders als schlechtes Wetter nicht Schicksal, sondern auch Ergebnis fehlerhafter Regeln.

QOSHE - Bahnstreiks ließen sich verhindern - Heike Göbel
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Bahnstreiks ließen sich verhindern

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10.01.2024

Muss Deutschland mehrfach im Jahr Bahnstreiks ertragen wie Unwetter? Mit zunehmendem Fatalismus schicken sich die Kunden der Bahn in ihr Los, ändern Reisepläne, nehmen Umwege in Kauf und empfindliche Geschäftseinbußen. Die Regierung zuckt mit den Schultern und beschwört die grundgesetzlich geschützte Tarifautonomie. Die tastet sie sonst wenig zimperlich an, ob mit Mindestlohn- oder Tariftreuegesetzen. Auch die „Daseinsvorsorge“, die SPD und Grüne schnell anführen, um Eingriffe in Energie-, Wasser- oder Wohnungswirtschaft zu rechtfertigen, scheint trotz landesweiten Stillstands........

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