Vor einem Jahr hat die Ampelregierung mit dem endgültigen Abschalten der restlichen Kernkraftwerke eine klima- und energiepolitische Fehlentscheidung großer Tragweite vollzogen. Dahinter standen vor allem die Grünen. Sie waren selbst nach Russlands Überfall auf die Ukraine nicht bereit, den Nutzen der deutschen Atommeiler für eine sichere, CO2-neutrale und günstige Energieversorgung neu zu bewerten – obwohl Teile der internationalen Klimabewegung auf Kernkraft setzen.

Auch der als „Realo“ geltende Wirtschafts- und Klimaminister Habeck wollte der Partei keine Kurskorrektur zumuten, wie sie FDP und Union forderten. Mehr als ein dreimonatiger „Streckbetrieb“ der AKW war nicht zu machen.

Dokumente aus dem Wirtschafts- und dem ebenfalls grünen Umwelt­ministerium legen nun nahe, dass Habeck und Umweltministerin Lemke früh genügend fachlichen Rat ihrer Ressort zur Verfügung hatten: An Hinweisen, dass eine Verlängerung des Betriebs machbar und mit Blick auf Strompreise und Energiesicherheit vorteilhaft sein könnte, hat es wohl schon kurz nach Kriegsausbruch nicht gefehlt.

Beide verfügten damit vor dem Hintergrund der Versorgungskrise und sprunghaft steigender Energiepreise über die nötigen Argumente, um sich für einen Weiterbetrieb der AKW einzusetzen. Und dafür auch die Energiekonzerne zu gewinnen, die sich nach dem teuren Zickzackkurs der letzten Jahrzehnte sperrten.

Während die linke Lemke die von Union und FDP geschürte Debatte darüber, ob Fakten anfangs womöglich unter dem Tisch gekehrt wurden, nicht fürchten muss, ist die Sache für Habeck brisanter. Innerhalb der Grünen lauert Konkurrentin Baerbock auf Fehler. Öffentlich erinnern die Papiere an sein langes Beharren auf ein ideologisches Heizungsgesetz.

Zwar hat er zuletzt Pragmatismus bewiesen mit dem Eintreten für die von seiner Partei verpönte CO2-Speicherung und die Abschaffung der Sektorgrenzen im Klimaschutzgesetz – allerdings erst unter dem Eindruck einer nicht länger übersehbaren Faktenlage, die Rückenwind verschafft. Das weckt Zweifel, ob Habeck stark genug und willens genug ist, für eine sachgerechte, realistische Politik auch dann zu kämpfen, wenn der Sturm noch vorne bläst.

QOSHE - Brisant für den „Realo“ Habeck - Heike Göbel
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Brisant für den „Realo“ Habeck

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26.04.2024

Vor einem Jahr hat die Ampelregierung mit dem endgültigen Abschalten der restlichen Kernkraftwerke eine klima- und energiepolitische Fehlentscheidung großer Tragweite vollzogen. Dahinter standen vor allem die Grünen. Sie waren selbst nach Russlands Überfall auf die Ukraine nicht bereit, den Nutzen der deutschen Atommeiler für eine sichere, CO2-neutrale und günstige Energieversorgung neu zu bewerten – obwohl Teile der internationalen Klimabewegung auf Kernkraft setzen.

Auch der als „Realo“ geltende Wirtschafts- und Klimaminister Habeck........

© Frankfurter Allgemeine


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