Die Lokführer haben ihrem Anführer Claus Weselsky die Gefolgschaft nicht verweigert, alles andere wäre einer Selbstentmachtung ihrer Gewerkschaft GDL gleichgekommen. Das eindrucksvolle Urabstimmungsergebnis von 97 Prozent führt freilich nicht zu einer neuen Lage im Tarifstreit, bestätigt es doch nur, was die Deutsche Bahn und ihre Kunden ohnehin längst wissen.

Schon vor der Urabstimmung gab es keine Zweifel am entschiedenen Streikwillen der GDL, sondern an deren ernsthaftem Verhandlungswillen. Schließlich hat sie bereits nach der ersten Verhandlungsrunde mit Warnstreiks begonnen – ein unverantwortlicher Umgang mit der grundgesetzlich gewährten Tarifautonomie. Und das, obwohl die Bahn, anders als üblich, unverzüglich ein Tarifangebot vorlegte. Da mittlerweile schon „Warnstreiks“ ohne Legitimation einer Urabstimmung mehrere Tage dauern und das halbe Land lahmlegen, ist das zusätzliche Drohpotential der GDL nach dem Votum für „unbefristete Streiks“ überschaubar.

Die Kunden der Bahn kann jedenfalls nicht mehr viel erschrecken. Sie sind gut beraten, für Januar rechtzeitig Ausweichstrategien zu ersinnen: zu fliegen, Auto zu fahren, Meetings wieder virtuell abzuhalten und Güter auf die Straße zu verlagern. Es kommt wohl nicht von ungefähr, wenn Lufthansa-Chef Carsten Spohr konstatiert, das Thema „Flugscham“ verliere schon wieder an Bedeutung.

Bahn-Personalvorstand Martin Seiler hat die schwierige Aufgabe, Weselsky klarzumachen, wann das Blatt auch in einem Staatskonzern überreizt ist. Die teils anhand fragwürdiger Kriterien festgelegten erklecklichen Boni der Bahnmanager erschweren Seilers Position. Auf den sehr hohen Lohnabschluss der Eisenbahnergewerkschaft EVG vom Frühjahr wird er dennoch nicht viel draufpacken können, um den Wettstreit der beiden Gewerkschaften nicht noch anzuheizen.

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Auf die von den Lokführern geforderte Arbeitszeitverkürzung von 38 auf 35 Stunden – ohne Lohnverzicht – einzugehen, würde die Personalnot der Bahn weiter verschärfen. Um Weselsky etwas entgegenzusetzen, braucht es viel Geld, aber auch gute Nerven, damit die Kosten des Abschlusses für Steuerzahler und Bahnreisende zumutbar bleiben.

Die Ampelregierung sollte der Bahn nicht in den Rücken fallen, wenn sich die Auseinandersetzung hinzieht und Ausstände öffentliche Kritik provozieren. Spätestens die nächste Bundesregierung sollte dann den Mut haben, die Aufrechterhaltung eines Mindestbetriebs bei der Bahn und anderer Institutionen der Daseinsvorsorge gesetzlich klar zu regeln.

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Überflüssige Machtdemonstration

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19.12.2023

Die Lokführer haben ihrem Anführer Claus Weselsky die Gefolgschaft nicht verweigert, alles andere wäre einer Selbstentmachtung ihrer Gewerkschaft GDL gleichgekommen. Das eindrucksvolle Urabstimmungsergebnis von 97 Prozent führt freilich nicht zu einer neuen Lage im Tarifstreit, bestätigt es doch nur, was die Deutsche Bahn und ihre Kunden ohnehin längst wissen.

Schon vor der Urabstimmung gab es keine Zweifel am entschiedenen Streikwillen der GDL, sondern an deren ernsthaftem Verhandlungswillen. Schließlich hat sie bereits nach der ersten Verhandlungsrunde mit Warnstreiks begonnen – ein unverantwortlicher Umgang mit der grundgesetzlich gewährten Tarifautonomie. Und das, obwohl die........

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