So schnell, wie mancher in Berlin hofft, werden die Proteste der Bauern nicht erlahmen. Es geht längst um mehr als die Kürzung der Staatshilfen. Die Bauern sehen sich als Opfer verfehlter Politik, die ihre Leistung nicht honoriert. Wer sonst arbeitet 60 Stunden in der Woche, vom frühen Morgen an? Viele würden von nachtschlafender Zeit sprechen. Und das für einen Stundenlohn, der trotz aller Hilfen kaum über dem Mindestlohnniveau liegt.

Es geht um die „Gängelung“ durch immer mehr Umwelt-, Klima- und Tierwohlauflagen und bürokratische Kontrollen. Es geht um unfaire Wettbewerbsbedingungen und die fehlende Anerkennung. Die Bauern haben genug von der „ideologisch verbrämten, realitätsfernen Politik der Städter“. Also rollen die Trecker.

Aus Sicht der kleinen Betriebe, die freilich nur einen Teil der Agrarbranche ausmachen, ist das verständlich. Aus Sicht der Steuerzahler müssen sie sich aber auch die Frage gefallen lassen, warum Europäische Union und Bundesregierung ihnen eigentlich – seit Jahrzehnten – mit großen Summen helfen. Es geht im Durchschnitt immerhin um 48.000 Euro im Jahr je Hof – und hier ist nicht einmal jeder Posten eingerechnet. Die Zuschüsse für Agrardiesel, der Anlass der Proteste, machen davon nur 2900 Euro aus. All das finanzieren die anderen mit ihren Steuern.

Dass die Landwirte hart arbeiten, reicht, so bitter das im Einzelfall ist, als Rechtfertigung nicht aus. Ebenso wenig, dass andere Staaten niedrigere Mindestlöhne haben oder höhere Dieselhilfen zahlen. Diesem alten Ruf nach „fairen Handelsbedingungen“ folgend, müsste Berlin die halbe Wirtschaft subventionieren.

So schlecht ist es zudem um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Bauern in Europa nicht bestellt, wie die jüngsten Rekordgewinne zeigen - auch wenn dabei die Folgen des Ukraine-Kriegs eine Rolle spielten. Und was sollen erst die osteuropäischen Bauern sagen, die aus den EU-Töpfen, aus denen der größte Teil der Hilfen fließt, viel weniger Geld erhalten als die deutschen?

Was also könnte legitimieren, dass der Staat die Hälfte der Einkommen der Bauern zahlt? Ein guter Grund wäre, wenn diese dafür eine für die Gesellschaft wichtige, sonst unmögliche Leistung erbringen, sprich „öffentliche Güter“ bereitstellen. Die Lebensmittelsicherheit gehört allerdings nicht mehr zwingend dazu.

Anders als früher ist die EU hier faktisch autark. Wenn wegen einer Kürzung der Subventionen Höfe, zumal meist kleine, „sterben“, wird dies eine sichere Versorgung nicht gefährden. Die folgende Knappheit dürfte sogar dazu führen, dass die Lebensmittelpreise auf das von den Landwirten lange geforderte „angemessene Niveau“ steigen. Zudem gibt es den Weltmarkt.

Damit bleibt vor allem der Beitrag, den Landwirte zum Umweltschutz, Klimaschutz und Tierwohl leisten. Dafür müssen sie dann aber auch nachvollziehbare Leistungen erbringen und sich Kontrollen gefallen lassen. Diese sollten und können unbürokratischer organisiert werden, ohne geht es nicht. Warum sollte die Politik Bauern nicht so streng überprüfen wie andere Unternehmen, die öffentliches Geld bekommen? Dies ist die andere Seite der Subventions-Medaille.

Leider ist die letzte EU-Agrarreform hinter den Notwendigkeiten zurückgeblieben. Ein Großteil der EU-Hilfen ist weiter an die Größe des Hofs gekoppelt. Die Empfänger müssen gewisse Gegenleistungen erbringen, mit umfassenden Umwelt- oder Tierwohlauflagen aber hat das nichts zu tun. Stattdessen hätte die EU die kompletten Hilfen für konkrete Projekte im öffentlichen Sinn reservieren sollen. Der Zusammenhang zwischen Hilfe und Gegenleistung wäre dann klar, weitere Berliner Auflagen unnötig.

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Solche Vorschläge lagen vor. Die Bauernvertreter haben sie, begleitet von Protesten auf Brüsseler Straßen, verhindert. Auch ansonsten haben sie sich nicht dadurch hervorgetan, kons­truktive Lösungen anzubieten, um die nun so beklagte, jahrzehntelange verfehlte Agrarpolitik zu verbessern. Es ging nur um Besitzstandswahrung.

Die Bauernvertreter haben dabei stets hemmungslos mit dem Zerrbild gearbeitet, die Hilfen kämen vor allem dem malerischen Hof aus dem Kinderbuch-Wunderland zugute. Da ist es kaum erstaunlich, dass die Bürger irritiert sind, wenn sie von der Pestizidbelastung des Grundwassers oder den Bedingungen der Schweinemast hören. Die Bauernvertreter tragen zumindest Mitschuld an dem schlechteren Image ihrer Branche.

Statt zu klagen, wäre Zeit, mitzuarbeiten an einer positiven Agenda einer modernen Landwirtschaft, die gute Gründe für staatliche Hilfen liefert. Einige junge Bauern leben es vor. Dann rollen die Städter mit ihren (E-)Autos vielleicht wieder mit gutem Gefühl aufs Land statt die Trecker in die andere Richtung.

QOSHE - Es ist Zeit für eine positive Agraragenda - Hendrik Kafsack, Brüssel
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Es ist Zeit für eine positive Agraragenda

9 0
11.01.2024

So schnell, wie mancher in Berlin hofft, werden die Proteste der Bauern nicht erlahmen. Es geht längst um mehr als die Kürzung der Staatshilfen. Die Bauern sehen sich als Opfer verfehlter Politik, die ihre Leistung nicht honoriert. Wer sonst arbeitet 60 Stunden in der Woche, vom frühen Morgen an? Viele würden von nachtschlafender Zeit sprechen. Und das für einen Stundenlohn, der trotz aller Hilfen kaum über dem Mindestlohnniveau liegt.

Es geht um die „Gängelung“ durch immer mehr Umwelt-, Klima- und Tierwohlauflagen und bürokratische Kontrollen. Es geht um unfaire Wettbewerbsbedingungen und die fehlende Anerkennung. Die Bauern haben genug von der „ideologisch verbrämten, realitätsfernen Politik der Städter“. Also rollen die Trecker.

Aus Sicht der kleinen Betriebe, die freilich nur einen Teil der Agrarbranche ausmachen, ist das verständlich. Aus Sicht der Steuerzahler müssen sie sich aber auch die Frage gefallen lassen, warum Europäische Union und Bundesregierung ihnen eigentlich – seit Jahrzehnten – mit großen Summen helfen. Es geht im Durchschnitt immerhin um 48.000 Euro im Jahr je Hof – und hier ist nicht einmal jeder Posten eingerechnet. Die Zuschüsse für Agrardiesel, der Anlass der Proteste, machen davon nur 2900 Euro aus.........

© Frankfurter Allgemeine


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