Man könnte denken, Gesundheitsminister Karl Lauterbach hätte genug auf dem Schreibtisch – mit der Klinikreform, der umstrittenen Cannabis-Legalisierung oder dem Umbau der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und des Robert-Koch-Instituts. Doch jetzt will er auch noch das Gesundheitswesen für einen militärischen Bündnisfall vorbereiten, wie er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ sagte: Notfalls müsse jeder Arzt, jede Klinik, jedes Gesundheitsamt wissen, was zu tun sei.

Die Pandemie habe gezeigt, dass das Gesundheitswesen unzureichend für Szenarien gewappnet sei, „die wir lange für undenkbar gehalten haben“. Es brauche klare Zuständigkeiten etwa für die Verteilung vieler Verletzter. Ende der 1980er-Jahre sei gedacht worden, die beste Vorbeugung wäre, wenn Ärzte sich mit solchen Fragen nicht beschäftigen – nun habe sich sein Haus bereits mit der Bundeswehr ausgetauscht. Im Sommer solle ein Gesetzentwurf vorliegen.

Auch die Wissenschaft soll sich weniger ausschließlich auf zivile Forschung konzentrieren, wie es viele Universitäten bislang mit Zivilklauseln anstreben: Mit dem im Januar vorgestellten „Gesetz zur Förderung der Bundeswehr in Bayern“ will die dortige Regierung Zivilklauseln zukünftig verbieten. Die strikte Trennung zwischen ziviler und militärischer Forschung solle aufgehoben werden, um Synergien zu nutzen, forderte vergangene Woche die Expertenkommission Forschung und Innovation.

Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger sagte hierzu, sie wolle zu „einer verstärkten Kooperation“ in geeigneten Bereichen ermutigen. Nötig sei eine Neubewertung. „Ohnehin verschwimmen die Grenzen zwischen ziviler und militärischer Forschung mit zunehmendem technologischem Fortschritt immer stärker.“ Das klingt nach zivil-militärischer Fusion wie in China.

Ob sich die Synergien tatsächlich einstellen, lasse sich „schwer prognostizieren“, erklärt die Hochschulrektorenkonferenz. Wichtig sei, dass es nicht zu einer Art Pflicht zu militärischer Forschung komme. Bitter, dass Gedanken in beide Richtungen angesichts der Krisenlage nötig sind.

Mehr zum Thema

1/

Gesetzentwurf geplant : Lauterbach will Gesundheitswesen für „militärische Konflikte“ rüsten

US-Sicherheitsexperte Stoff : Deutsche Forscher kooperieren mit Chinas Militär

Deutschlands Verteidigung : Schluss mit der Trennung zwischen militärischer und ziviler Forschung

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) kritisiert Lauterbach auf Anfrage, er möge zuerst das Kliniksterben beenden, bevor er über eine stärkere Kooperation mit der Bundeswehr nachdenke. Ihr Chef Gerald Gaß sieht die Kliniken gerüstet, eine Vereinbarung mit der Bundeswehr habe die DKG bereits vor bald 25 Jahren geschlossen. In der Pandemie habe sich gezeigt, „dass die Verantwortlichen in den Krankenhäusern aber auch in der ambulanten Versorgung in der Lage sind, sich situativ auf Katastrophenszenarien einzustellen“, erklärt Gaß.

Dabei mangelte es zu Beginn der Coronapandemie ja sogar an einfachen OP-Masken. Seitdem Deutschland sich nach Ende des Kalten Kriegs deutlich weniger Gedanken um militärische Konflikte gemacht hat, ist dies nun dringend an der Zeit. Auch um an Ende nicht aus einer Panik heraus zu überreagieren, sondern sich möglichst besonnen auf Szenarien vorzubereiten, die hoffentlich nicht eintreffen werden.

QOSHE - Wendezeit - Hinnerk Feldwisch-Drentrup
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Wendezeit

9 0
07.03.2024

Man könnte denken, Gesundheitsminister Karl Lauterbach hätte genug auf dem Schreibtisch – mit der Klinikreform, der umstrittenen Cannabis-Legalisierung oder dem Umbau der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und des Robert-Koch-Instituts. Doch jetzt will er auch noch das Gesundheitswesen für einen militärischen Bündnisfall vorbereiten, wie er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ sagte: Notfalls müsse jeder Arzt, jede Klinik, jedes Gesundheitsamt wissen, was zu tun sei.

Die Pandemie habe gezeigt, dass das Gesundheitswesen unzureichend für Szenarien gewappnet sei, „die wir lange für undenkbar gehalten haben“. Es brauche klare Zuständigkeiten etwa für die Verteilung vieler Verletzter. Ende der 1980er-Jahre sei gedacht worden, die beste Vorbeugung wäre, wenn Ärzte sich mit solchen Fragen nicht beschäftigen – nun........

© Frankfurter Allgemeine


Get it on Google Play