Während die Bauern für Dieselsubventionen protestieren, der Klimaschutz vielerorts zur Disposition steht und bekannt wird, dass Rechtsextreme kürzlich einen „Masterplan“ zur Vertreibung von Millionen Menschen mit Migrationshintergrund diskutierten, ist jetzt ein weiteres Thema auf dem Tisch, an dem Freundschaften zerbrechen können: Wie am Mittwochabend bekannt wurde, will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Kassenerstattung von Homöopathie und Anthroposophie abschaffen.

„Homöopathie macht als Kassenleistung keinen Sinn“, erklärte er auf der Onlineplattform X (ehemals Twitter). „Auch den Klimawandel können wir nicht mit Wünschelruten bekämpfen. Die Grundlage unserer Politik muss die wissenschaftliche Evidenz sein.“

Es bestehen keine ernsten Zweifel daran, dass hochverdünnte Globuli nichts anders als Placebos sind – Scheinmedikamente, während derer Einnahme der Körper die meisten Krankheiten von allein heilt. So entsteht der Eindruck einer Wirksamkeit. Zu Recht warnen viele Ärzte davor, dass etwa Kinder durch die Gabe der Zuckerkügelchen konditioniert werden können, bei jedem Wehwehchen zu einem Mittelchen zu greifen – andere Arten der Zuwendung können genauso gut wirken. Und auch bei Erwachsenen kann der Glaube an Homöopathie und Anthroposophie fatale Folgen haben, etwa bei gut therapierbaren Krebsarten zu vermeidbaren Todesfällen führen.

Verschiedene Gesetze zementieren bislang den Sonderstatus, den die historisch gewachsenen Therapierichtungen in Deutschland haben. Lauterbachs Ankündigung betrifft nur die Frage, welche Kosten gesetzliche Krankenkassen erstatten dürfen. Um Wettbewerb zu fördern, hatten sie vom Gesetzgeber die Möglichkeit erhalten, über sogenannte Satzungsleistungen mit besonderen Angeboten Versicherte zu ködern. Doch die Summen, um die es hierbei geht, sind im Vergleich zu den sonstigen Ausgaben im Gesundheitswesen vernachlässigbar.

Das viel größere zu bohrende Brett ist der sogenannte Binnenkonsens: Homöopathische und anthroposophische Mittel brauchen anders als andere Medikamente keinen Nachweis ihrer Wirkung. Trotzdem dürfen sie als Arzneimittel bezeichnet und exklusiv über Apotheken verkauft werden. Dies trägt neben der Kassenerstattung zum guten Image bei.

Doch Lauterbachs Pläne werden sich nicht leicht umsetzen lassen. Mit Protesten ist zu rechnen. Für ihn nicht nachvollziehbar, könnten Abgeordnete aller Fraktionen der Homöopathie etwas abgewinnen, erklärte Lauterbach noch 2019. „Daher glaube ich, so traurig es ist, dass ein solches Gesetz keine Chance hat“, sagte er damals. „Wir hätten hier einen harten Kampf, der einem Religionskampf gleichkommt. Weil diejenigen, die daran glauben, es mit ähnlicher Härte verfolgen.“

Derzeit ist der Minister mit vielen Baustellen beschäftigt – so der schwierigen Finanzsituation der Kassen, der geplanten Klinikreform oder der Schaffung eines Bundesinstituts für Prävention und Aufklärung in der Medizin. Dennoch könnte der symbolische Schritt der Abschaffung der Kassenerstattung nun bessere Chancen haben als zuvor, denn in der Gesellschaft hat sich etwas getan. So hat sich Kritik an der Homöopathie über reichweitenstarke Formate etwa des Satirikers Jan Böhmermann verbreitet.

Zuvor konnten Globuli-Produzenten darauf verweisen, dass die Nachfrage immer steigen würde – doch in vergangenen Jahren sah es nicht mehr so rosig aus. „Auch im abgelaufenen Geschäftsjahr setzte sich die negative Berichterstattung zur Homöopathie fort“, hieß es etwa im Geschäftsbericht eines der größten Hersteller, der Deutschen Homöopathie-Union, vor einigen Jahren. Dies habe sich „sehr deutlich“ bei einem Teilgebiet der homöopathischen Mittel bemerkbar gemacht „und zu deutlichen Absatzrückgängen geführt“. Zuletzt vermeldet sie Umsatzrückgänge allgemein „im Geschäftsfeld Homöopathie“.

Mehr zum Thema

1/

Entscheidung von Lauterbach : „Homöopathie macht als Kassenleistung keinen Sinn“

Bericht des „Spiegels“ : Lauterbach will Kassenerstattung von Homöopathie stoppen

Homöopathie bei ADHS : Globuli können Ritalin doch nicht ersetzen

Weiterbildung für Ärzte : Grüne attackiert grüne Landeschefin in Homöopathie-Streit

Und selbst die Grünen haben sich zwischenzeitlich etwas von der Therapierichtung distanziert. Nach langem Streit um die Ausrichtung der Partei zur Homöopathie schrieb sie 2020 in ihr Grundsatzprogramm: „Leistungen, die medizinisch sinnvoll und gerechtfertigt sind und deren Wirksamkeit wissenschaftlich erwiesen sind, müssen von der Solidargemeinschaft übernommen werden.“

Es wäre der richtige Schritt, wenn nicht nur der Gesundheitsminister, sondern sich auch die Mehrheit der Abgeordneten im Bundestag hier nun auf die Seite der Wissenschaft stellt. Auch wenn der Druck wohl erheblich werden wird.

QOSHE - Wider die populistischen Wünschelruten - Hinnerk Feldwisch-Drentrup
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Wider die populistischen Wünschelruten

7 0
11.01.2024

Während die Bauern für Dieselsubventionen protestieren, der Klimaschutz vielerorts zur Disposition steht und bekannt wird, dass Rechtsextreme kürzlich einen „Masterplan“ zur Vertreibung von Millionen Menschen mit Migrationshintergrund diskutierten, ist jetzt ein weiteres Thema auf dem Tisch, an dem Freundschaften zerbrechen können: Wie am Mittwochabend bekannt wurde, will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Kassenerstattung von Homöopathie und Anthroposophie abschaffen.

„Homöopathie macht als Kassenleistung keinen Sinn“, erklärte er auf der Onlineplattform X (ehemals Twitter). „Auch den Klimawandel können wir nicht mit Wünschelruten bekämpfen. Die Grundlage unserer Politik muss die wissenschaftliche Evidenz sein.“

Es bestehen keine ernsten Zweifel daran, dass hochverdünnte Globuli nichts anders als Placebos sind – Scheinmedikamente, während derer Einnahme der Körper die meisten Krankheiten von allein heilt. So entsteht der Eindruck einer Wirksamkeit. Zu Recht warnen viele Ärzte davor, dass etwa Kinder durch die Gabe der Zuckerkügelchen konditioniert werden können, bei jedem Wehwehchen zu einem Mittelchen zu greifen – andere Arten der Zuwendung........

© Frankfurter Allgemeine


Get it on Google Play