Vor einer reichlichen Woche hatte Milo Rau, der neue Intendant der Wiener Festwochen, noch gegenüber der österreichischen Presseagentur APA gedröhnt, die Festwochen wären eine „schwache, feige Institution“, wenn sie der Debatte um eine Einladung des griechisch-russischen Dirigenten Teodor Currentzis auswichen. Am Montagnachmittag aber hatte Rau klein beigeben müssen, auch das freilich wieder ganz groß: „Alternativlos“ sei die Absage des Konzerts von Currentzis mit dem SWR Symphonieorchester nun plötzlich. Alternativlos, weil die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv und das Kiewer Symphonieorchester, die ebenfalls eingeladen sind, nicht im Kontext mit einem Künstler auftreten wollen, der weiterhin in Russland konzertiert, sein Ensemble MusicAeterna von russischen Firmen, die auf der Sanktionsliste der EU stehen, finanzieren lässt, während Mitglieder dieses Ensembles auf Social-Media- Kanälen die Sanktionspolitik des Westens verhöhnen und Currentzis zu alledem – schweigt.

Lyniv hatte erst nach ihrer Zusage erfahren, dass ihr Konzert mit dem Requiem „Babyn Jar“ von Jewhen Stankowytsch die ukrainische und Currentzis mit dem „War Requiem“ von Benjamin Britten die russische Seite im aktuellen Ukrainekrieg beim Festival illustrieren sollte. Alternativlos ist die Absage freilich nicht. Wäre Rau wirklich am Kunstwerk, dem „War Requiem“, gelegen, hätten leicht andere Dirigenten die Aufführung am 12. Juni im Burgtheater leiten können. Und wenn die biographische Symbolik dabei vonnöten wäre: Der Dirigent Thomas Sanderling – als Kind von Verfolgten des Naziregimes in der Sowjetunion geboren, dort und in der DDR aufgewachsen, heute in London lebend – verkörpert geradezu ideal die deutsch-sowjetisch-britische Geschichte dieses Stücks.

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Aber Rau geht es nicht um Kunst. Es geht ihm darum, Kunst zu verzwecken für die Bebilderung aktueller Konflikte, sie zum Anschauungsmaterial für seine Thesen zu degradieren – und zwar bei allem, was er macht. Schon in seinen Genfer Operninszenierungen von Wolfgang Amadé Mozarts „La clemenza di Tito“ und Hèctor Parras „Justice“ war ihm Kunst immer nur Objekt einer politischen Denunziation von Wohlstandprivilegien. Er und Currentzis sind Waffenbrüder, wenn es darum geht, bildungsbürgerliche Begriffe von Kunst und ebensolche Haltungen zu ihr sturmreif zu schießen. Denn auch Currentzis liebte jahrelang den Auftritt im Schwarzhemd mit Springerstiefeln, um kulturmüde Bourgeois-Bohémiens mittels riskanter Aufführungspraktiken zu kitzeln. Rau wie Currentzis dient die Kunst vor allem als Brennstoff für ihr Ego. Wie den totalitären Bewegungen um 1930, deren Dresscodes Currentzis als Dirigent lustvoll zu zitieren liebt, fehlt es beiden zuerst an Empathie: nämlich für Lyniv, das ukrainische Orchester, deren Land und für die Werke selbst. In einem solch kunstfernen Totalitarismus sind Entscheidungen natürlich alternativlos.

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Alternativlos?

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13.02.2024

Vor einer reichlichen Woche hatte Milo Rau, der neue Intendant der Wiener Festwochen, noch gegenüber der österreichischen Presseagentur APA gedröhnt, die Festwochen wären eine „schwache, feige Institution“, wenn sie der Debatte um eine Einladung des griechisch-russischen Dirigenten Teodor Currentzis auswichen. Am Montagnachmittag aber hatte Rau klein beigeben müssen, auch das freilich wieder ganz groß: „Alternativlos“ sei die Absage des Konzerts von Currentzis mit dem SWR Symphonieorchester nun plötzlich. Alternativlos, weil die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv und das Kiewer Symphonieorchester, die ebenfalls eingeladen sind, nicht im Kontext mit einem Künstler auftreten wollen, der weiterhin in Russland konzertiert, sein Ensemble MusicAeterna von russischen........

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