In Deutschland fehlt Wohnraum. Dieses Mantra ist landauf, landab zu hören – mal als Ärgernis, mal als Warnung, verbunden mit der Angst vor einer sozialen Spaltung. Auf rund 800.000 fehlende Wohnungen schätzt eine Studie des Hannoveraner Pestel-Instituts nun die Lü­cke zwischen Angebot und Nachfrage bundesweit. Die Bundesregierung selbst hat sich das Bauziel von 400.000 neuen Wohnungen im Jahr gesteckt. Verschiedene Branchenprognosen kommen jedoch auf deutlich weniger als 300.000 neue Wohnungen in diesem Jahr.

Allerdings unterscheiden sich die Wohnungsmärkte und die Immobilienpreise innerhalb Deutschlands wesentlich. Wenig dürfte es bringen, Hunderttausende Wohnungen im Saarland, in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen oder Mecklenburg-Vorpommern zu bauen. Diese Regionen klassifiziert auch die Pestel-Untersuchung überwiegend als Gegenden mit Wohnungsüberhängen, was nicht nur, aber vor allem auf dem Land zu sehen ist. In Sachsen-Anhalt weisen Wohnungsunternehmen im ländlichen Raum eine durchschnittliche Leerstandsquote von rund 15 Prozent aus, wie eine Analyse im Auftrag der dortigen Wohnungswirtschaft gezeigt hat.

Der Wunsch nach Wohnraum ist eben individuell und ungleichmäßig im Land verteilt. Die Hilfe für den Neubau betrifft dadurch weniger die Bundesregierung, sondern mehr die jeweilige Landesregierung und vor allem die beliebten Städte, in denen mehr Menschen als früher arbeiten, wohnen und leben wollen. Für mehr Wohnraum müssten sich Politiker schließlich vor Ort einsetzen: Bau­gebiete ausweisen, Nachverdichtungen und Aufstockungen ermöglichen, Auflagen für neue Häuser senken.

Wichtig ist es auch, mit den Anwohnern zu sprechen und dort für Neubauten zu werben. So protestieren in Berlin Anwohner gegen den Bau von 99 Wohnungen in Hinterhöfen in Pankow. Ursprünglich sollten hier rund 180 Wohnungen entstehen, wovon die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft nun Abstand nimmt. In anderen Städten wehren sich Anwohner ebenfalls gegen Neubauten, weil sie dadurch Grünflächen bedroht sehen oder Lärm fürchten.

Für viele soll in ihrem Viertel am liebsten alles so bleiben, wie es ist. Alteingesessene mit der eigenen Wohnung oder lang laufenden Mietver­trägen stellen sich damit gegen Neuankömmlinge, die noch die eigenen vier Wände suchen, oder gegen Familien mit kleinen Kindern, die mehr Platz brauchen. Wer derzeit in den Großstädten eine Mietwohnung sucht, zieht den Kürzeren und muss vermutlich mehr zahlen als früher.

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Längst hat sich auch deswegen die Wohnungssuche von den Zentren der Großstädte in die Speckgürtel in der weiteren Umgebung verlagert. Je nach beruflicher Tätigkeit hilft dabei die Arbeit im Homeoffice, wodurch die Pendelei ins Büro an weniger Tagen nötig ist und weniger ins Gewicht fällt. Hier lässt sich im Einsatz gegen den Wohnungsmangel ebenfalls etwas tun: Mit einem Ausbau des Nahverkehrs kann ländlicher Raum als Wohnregion belebt werden, der womöglich bislang über leer stehende Häuser klagt. In der Regel sind Immobilien auf dem Land attraktiver, wenn sie eine gute Anbindung an die Städte vorweisen. Statt einer langwierigen Bahnanbindung könnte zunächst ein schneller Busverkehr in die Bresche springen. Es sollte im ureigensten Interesse jeder Gemeinde sein, hier nicht den Anschluss zu verlieren.

Ob nun Wohnraum abseits der Großstädte hilft oder nicht: In den Metropolregionen bleibt die Nachfrage nach Immobilien hoch. Gleichzeitig klagen Bauunternehmen über fehlende Aufträge und stornierte Projekte. Höhere Bauzinsen und Baukosten erschweren Privatpersonen und Un­ternehmen die Finanzierung sowohl von Neubauten als auch für den Kauf bestehender Gebäude. In der Folge sind die Kaufpreise für Häuser und Wohnungen im vergangenen Jahr im Durchschnitt schon deutlich gesunken. Zugleich ist aus der Branche immer wieder zu hören, dass Eigen­tümer, die gern verkaufen würden, vor den derzeitigen Marktpreisen zurückschrecken und auf höhere Einnahmen hoffen. Uneinigkeit herrscht darüber, ob die Talsohle schon durchschritten ist oder ob die Kaufpreise weitersinken werden. Einige Marktteilnehmer erwarten für dieses Jahr noch keine Besserung.

Für Mieter, die in Deutschland die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, dürfte sich allerdings die Lage in den Städten kaum bessern. Wer dort eine Wohnung sucht, wird weiterhin viel Konkurrenz haben. Wer wegziehen kann, hat eine Option mehr. Glücklich kann sich schätzen, wer schon ein Haus oder eine Wohnung am Ort seiner Wahl bewohnt.

QOSHE - Nervensache Wohnungssuche - Jan Hauser
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Nervensache Wohnungssuche

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14.02.2024

In Deutschland fehlt Wohnraum. Dieses Mantra ist landauf, landab zu hören – mal als Ärgernis, mal als Warnung, verbunden mit der Angst vor einer sozialen Spaltung. Auf rund 800.000 fehlende Wohnungen schätzt eine Studie des Hannoveraner Pestel-Instituts nun die Lü­cke zwischen Angebot und Nachfrage bundesweit. Die Bundesregierung selbst hat sich das Bauziel von 400.000 neuen Wohnungen im Jahr gesteckt. Verschiedene Branchenprognosen kommen jedoch auf deutlich weniger als 300.000 neue Wohnungen in diesem Jahr.

Allerdings unterscheiden sich die Wohnungsmärkte und die Immobilienpreise innerhalb Deutschlands wesentlich. Wenig dürfte es bringen, Hunderttausende Wohnungen im Saarland, in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen oder Mecklenburg-Vorpommern zu bauen. Diese Regionen klassifiziert auch die Pestel-Untersuchung überwiegend als Gegenden mit Wohnungsüberhängen, was nicht nur, aber vor allem auf dem Land zu sehen ist. In Sachsen-Anhalt weisen Wohnungsunternehmen im ländlichen Raum eine durchschnittliche Leerstandsquote von rund 15 Prozent aus, wie eine Analyse im Auftrag der dortigen Wohnungswirtschaft gezeigt hat.

Der Wunsch nach Wohnraum ist eben individuell und........

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