Für die Unsitte, Diskussionen hinauszuzögern und Entscheidungen aufzuschieben, gibt es in Darmstadt einen eigenen Namen. „Darmstädterei“ nennen es die Darmstädter, wenn es wieder heißt: „Da reden wir noch mal drüber.“ Und man nicht zu einer Entscheidung kommt oder eine schon erzielte Einigung wieder aufgeweicht wird. Die Darmstädter selbst sind genervt von der „Darmstädterei“, weil eine zögerliche Art schon manches Vorhaben verdorben hat. So wurde vor Jahren so lange darüber geredet, ob man einen ICE-Haltepunkt am Hauptbahnhof oder an einem neuen Außenbahnhof haben möchte, dass schließlich weder das eine noch das andere zustande kam.

Nun geht in Darmstadt die nächste „Darmstädterei“ los. Die Debatte betrifft den Messplatz und die Pläne, was dort gebaut werden soll. Auf dem Festplatz im Norden des Stadtgebiets entstehen Wohnhäuser, so schien es seit fast vier Jahren festzustehen. Errichtet wurde bisher aber kein einziges Haus. In Zeiten von steigenden Baukosten und Materialknappheit hätte es der Bauherr, die stadteigene Baugesellschaft, damit auch schwer gehabt.

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Der Darmstädter Oberbürgermeister stellt nun die bisherigen Pläne infrage und spricht von Gewerbebauten. Grüne und FDP protestieren wiederum gegen diese Äußerung, die sie als Kehrtwende des Rathauschefs empfinden.

Die Diskussion zeigt, wie sehr die Stadt unter Druck steht, wenn es darum geht, was sie mit einer unbebauten Fläche anfangen soll. Dass Wohnungen dringend gebraucht werden, ist keine Frage, das gilt in Darmstadt wie im gesamten Rhein-Main-Gebiet. Und dazu braucht es Neubauten, nur mit Nachverdichtung im Bestand wird man nicht weit kommen. Doch wie sich kürzlich im Stadtparlament, nämlich bei Verabschiedung des Etats, gezeigt hat, wird auch Geld dringend benötigt, denn die Kommune gibt erheblich mehr aus, als sie einnimmt. Neue Einnahmen kann sie am besten mit neuen Gewerbegebieten generieren – in allen Städten bringt die Gewerbesteuer zwar stark schwankende, aber einträgliche Einkünfte. Vor dieser Wahl stehen die Darmstädter mit ihrem Messplatz.

Eine andere Frage ist noch, wie der SPD-Oberbürgermeister Hanno Benz seine Vorstellungen durchsetzen will – seine Partei gehört schließlich nicht zu der Koalition, die die Stadt regiert.

QOSHE - Die nächste Darmstädterei - Jan Schiefenhövel
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Die nächste Darmstädterei

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03.04.2024

Für die Unsitte, Diskussionen hinauszuzögern und Entscheidungen aufzuschieben, gibt es in Darmstadt einen eigenen Namen. „Darmstädterei“ nennen es die Darmstädter, wenn es wieder heißt: „Da reden wir noch mal drüber.“ Und man nicht zu einer Entscheidung kommt oder eine schon erzielte Einigung wieder aufgeweicht wird. Die Darmstädter selbst sind genervt von der „Darmstädterei“, weil eine zögerliche Art schon manches Vorhaben verdorben hat. So wurde vor Jahren so lange darüber geredet, ob man einen ICE-Haltepunkt am Hauptbahnhof oder an einem neuen Außenbahnhof haben möchte, dass schließlich weder........

© Frankfurter Allgemeine


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