Offene Briefe sind oft lang­weilig, weil sie die mühsame Konsensfindung der Unterzeichner in Verlautbarungsprosa abbilden. Wie erfrischend dagegen nun der Brief der Literaturübersetzer gegen Künstliche Intelligenz! Man könnte von einer romantischen Breitseite gegen die Digitalisierungs-Apparatschiks sprechen.

All jenen Menschen, die über „Chancen der KI“ selbst schon so reden, als wären sie einer Gehirnwäsche durch Maschinen unterzogen worden, und die mehr oder weniger schamlos an bestimmten Stellen auch schon fordern, menschliche Kreativität durch KI zu ersetzen, liest der Brief die Leviten. Das am Dienstag veröffentlichte Dokument, gemeinsam lanciert von den Verbänden der deutschen, österreichischen und schweizerischen Literaturübersetzer, bewertet KI als „Techno­logie mit systemischem Risiko“ und sieht deren „starke Regulierung“ dringend geboten.

Dass maschinelles Über­setzen schon Realität ist und bestimmt noch viel stärker werden wird, wissen auch die Unterzeichner. Sie möchten sich aber, statt das offenbar Unvermeidliche noch zu umarmen, wo es geht, dagegenstemmen. Wenn schon KI mit urheberrechtlich geschützten Werken „trainiert“ werde, dann „nicht gegen unseren Willen“ und „nicht ohne angemessene Bezahlung“. Ob das noch realistisch ist, sei dahingestellt: Der ohnehin seit Langem gebeutelte Berufsstand der Übersetzer zeigt hier eine „Nothing to ­lose“-Mentalität. Er fordert ferner Kennzeichnungspflicht für reine KI-Inhalte, Förderung menschlicher Werke und warnt: „Der ökologische Fußabdruck von KI-Software darf nicht ignoriert werden.“

Während nicht zu leugnen ist, wie stark sich maschinelles Übersetzen zuletzt verbessert hat, sind doch andererseits seine Defizite ständig sichtbar – etwa wenn auf der Website einer Fluglinie statt Rückflug „Rückgabe“ steht oder der Computer sämtliche Fußballspiele, die beendet sind, fälschlicherweise als „Finale“ bezeichnet. Von solchen Beispielen lässt sich leicht hochrechnen, was es bedeutet, KI auf literarische Texte loszulassen.

Hier nun dreht der Brief richtig auf: „Durch ihre Bauart sind Sprachsimulationen häufig unlogisch und voller Lücken, sie enthalten Ersatzbegriffe und -behauptungen, die nicht immer sofort als falsch erkannt werden, sie ‚halluzinieren‘. KI-Systeme können keine Begriffsarbeit leisten, keine inhaltlichen und klanglichen Bezüge oder Sprachspiele erkennen und Ton und Register einer Stimme nicht interpretieren.“

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Das ist schön und klar geschimpft. Noch menschlicher aber wird der Brief dann in seinem polemischsten Teil: Er mündet in ein „Manifest für mensch­liche Sprache“. Das macht den Manifesten der historischen Avantgarde, die vor hundert Jahren entstanden, alle Ehre. Es heißt etwa: „Botsprache reproduziert immer nur den Status quo. Sie vervielfältigt Vorurteile, hemmt die Kreativität, die dynamische Weiterentwicklung von Sprachen und den Erwerb von Sprachfähigkeiten.“ Die Polemik der Literaturübersetzer sollte allen, die ihr Leben mit geistiger, kreativer Arbeit bestreiten, Lust machen aufzubegehren: gegen Botsprache und Botdenken.

QOSHE - Gegen das Botdenken - Jan Wiele
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Gegen das Botdenken

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28.02.2024

Offene Briefe sind oft lang­weilig, weil sie die mühsame Konsensfindung der Unterzeichner in Verlautbarungsprosa abbilden. Wie erfrischend dagegen nun der Brief der Literaturübersetzer gegen Künstliche Intelligenz! Man könnte von einer romantischen Breitseite gegen die Digitalisierungs-Apparatschiks sprechen.

All jenen Menschen, die über „Chancen der KI“ selbst schon so reden, als wären sie einer Gehirnwäsche durch Maschinen unterzogen worden, und die mehr oder weniger schamlos an bestimmten Stellen auch schon fordern, menschliche Kreativität durch KI zu ersetzen, liest der Brief die Leviten. Das am Dienstag veröffentlichte Dokument, gemeinsam lanciert von den Verbänden der deutschen, österreichischen und schweizerischen Literaturübersetzer, bewertet KI als „Techno­logie mit systemischem Risiko“ und sieht........

© Frankfurter Allgemeine


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