Es ist noch nicht einmal ein Jahr her, dass Prinzessin Catherine von der Öffentlichkeit gekrönt wurde. Charles und Camilla war in der Westminster Abbey gerade wirklich diese Ehre zuteilgeworden, aber bei aller Hochachtung für die beiden, die Königin in spe saß damals im Mai in Reihe eins. Mit geradem Rücken, erhobenen Hauptes in ihrer sicher sehr schweren Robe und mit dem dicken Kranz aus Diamanten im Haar. Ihre Kinderschar schien sie mit festem Blick mühelos unter Kontrolle zu haben. Die Presse jubelte, vom Revolverblatt „Heat“ bis zur seriösen „Times“: „Kates Krönungs-Sieg“, „Lasst uns Kate jetzt krönen.“

Das war nur ein weiterer Beleg dafür, dass Catherine in der wohl kompliziertesten Schwiegerfamilie der Welt zur tragenden Säule geworden war. Nach all den Jahren, in denen sie die Selbstverwirklichung hintangestellt hatte, hinter das Protokoll, hinter die Belange dieses Unternehmens, und dabei trotzdem nicht eingegangen, sondern über sich selbst hinausgewachsen war. Kate the Great.

Diese große Kate, die der Welt stets geliefert hatte, was sie von ihr erwartete, allen voran natürlich die drei Kinder. Und schöne Bilder mit diesen kleinen Wesen im Arm, in hohen Schuhen und Föhnfrisur, jeweils wenige Stunden nach der Geburt vor dem Kliniktor. Die Eindrücke aus dem Familienalltag. Sogar ein Interesse für Fotografie entwickelte sie bei aller Gier der Öffentlichkeit am Privatleben ihrer Familie.

Kate die Große, die sich dann Anfang des Jahres für ein paar Wochen abmelden musste. Wegen einer Unterleibsoperation, die zu den psychisch aufreibenderen Eingriffen gehören kann. Über Fehlgeburten, künstliche Befruchtung und Wechseljahre mögen manche Frauen heute öffentlich sprechen wollen. Es bedeutet nicht, dass es allen und bei allen Themen so geht. Dass nichts mehr intim bleiben darf.

Mit Blick auf die Kommentare der vergangenen Wochen muss das trotzdem ein unverzeihlicher Fehler gewesen sein. Die Welt ertrug die angekündigte Abwesenheit jedenfalls nicht und wechselte in den Modus der zutiefst frauenfeindlichen Art von Spekulation: Die Mutmaßung, sie sei gefangen im Tower of London, klingt noch geradezu ironisch im Vergleich zu den Gerüchten, sie sei gestorben oder liege im Koma – was vor dem Hintergrund einer Operation einfach nicht lustig ist. Da stand auch die Frage im zumeist digitalen Raum, ob William eine andere Frau kennengelernt haben könnte. Oder Kate sich einer Schönheitsoperation unterzogen hat – weil, warum sonst, sollte sich eine Frau so lange nicht blicken lassen? Bei Charles fragt überraschenderweise niemand, was er in seiner Abwesenheit zwecks Krebsbehandlung aktuell noch korrigieren lässt.

Weil Kate eben Kate ist, tat sie trotzdem das Einzige, was man ihr nach 13 Jahren im Dienst der Krone zugetraut hätte. Sie lieferte. Rief die Kinder am Freitag vergangener Woche, kurz vor dem britischen Muttertagssonntag, zum Familienfoto zusammen und ließ William den Auslöser betätigen.

Der Rest ist Foto-Photoshop-Geschichte, denn die Welt diskutiert ja seit einer Woche über das offensichtlich nachträglich bearbeitete Bild und den Abstand von Charlottes Ärmel, den Reißverschluss von Kates Jacke und so weiter. Sie verteufelt dabei nicht etwa Photoshop, das Wahrheiten verfremdet und seit Jahrzehnten gerade unter jungen Frauen zu verstörenden Körperbildern beiträgt, sondern Kate, die damit offenbar nicht umgehen konnte („Photoshop-Fail“). Während eben Catherine – wie immer – der Öffentlichkeit nur ihr Bestes geben wollte: übrigens kein Foto aus einem Kriegsgebiet, das aufpoliert wie Propaganda wirken könnte und Menschen in ihrer Meinung beeinflusst, sondern ein Familienfoto auf der Terrasse, auf dem zufällig alle drei Kinder im Alter von fünf bis zehn zur selben Zeit lächeln. Das Menschen erfreuen soll.

Es ist natürlich nur korrekt, dass die Bildagenturen das Foto im Namen des Journalismus killen ließen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sie das Foto von der Weihnachtskarte aus dem vergangenen Jahr, auf dem Prinz Louis ein Mittelfinger fehlte, durchgewunken haben. Damals wäre niemand auf die Idee gekommen, daraus eine Glaubwürdigkeitskrise der britischen Monarchie abzuleiten, wie jetzt beispielsweise der Buchautor Omid Scobie, bekannt als Sprachrohr von Meghan und Harry. Das Englische hat für so ein Verhalten einen treffenden Begriff:to throw somebody under the bus. Jemanden, der eh schon strauchelt, vor den Bus werfen, um daraus selbst einen Vorteil zu ziehen.

Vielleicht fällt Kate auch deshalb auf den vielen halb seriösen News-Seiten und Social-Media-Plattformen so hart, weil sie in all den Jahren keine Schwäche gezeigt hat. Weil sie sich nicht provozieren ließ, als Harry und Meghan ihrer Familie in dem Oprah-Interview 2021 Rassismus vorwarfen. Oder 2019, als die beiden einige Monate nach der Geburt von Kates und Williams drittem Kind Louis in der britischen „Vogue“ verkündeten, aus Nachhaltigkeitsgründen niemals mehr als zwei Kinder haben zu wollen.

Catherine lächelte einfach alles weg, wohlgemerkt für die Firma der Schwiegerfamilie, die – auch das erzählen ja die Frauen, die in diesem Haus bereits zugegen waren – eigentlich die Schwiegerfamilie zum Hassen sein muss. Sie steht über den Dingen, vermutlich auch über der Tatsache, dass sie noch ständig Kate Middleton genannt wird, als gehörte sie nicht ganz dazu – 13 Jahre nachdem sie diesen Namen abgelegt und sich in den Dienst der Royals gestellt hat.

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Die ganze Welt fällt über sie her – zu Unrecht

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15.03.2024

Es ist noch nicht einmal ein Jahr her, dass Prinzessin Catherine von der Öffentlichkeit gekrönt wurde. Charles und Camilla war in der Westminster Abbey gerade wirklich diese Ehre zuteilgeworden, aber bei aller Hochachtung für die beiden, die Königin in spe saß damals im Mai in Reihe eins. Mit geradem Rücken, erhobenen Hauptes in ihrer sicher sehr schweren Robe und mit dem dicken Kranz aus Diamanten im Haar. Ihre Kinderschar schien sie mit festem Blick mühelos unter Kontrolle zu haben. Die Presse jubelte, vom Revolverblatt „Heat“ bis zur seriösen „Times“: „Kates Krönungs-Sieg“, „Lasst uns Kate jetzt krönen.“

Das war nur ein weiterer Beleg dafür, dass Catherine in der wohl kompliziertesten Schwiegerfamilie der Welt zur tragenden Säule geworden war. Nach all den Jahren, in denen sie die Selbstverwirklichung hintangestellt hatte, hinter das Protokoll, hinter die Belange dieses Unternehmens, und dabei trotzdem nicht eingegangen, sondern über sich selbst hinausgewachsen war. Kate the Great.

Diese große Kate, die der Welt stets geliefert hatte, was sie von ihr erwartete, allen voran natürlich die drei Kinder. Und schöne Bilder mit diesen kleinen Wesen im Arm, in hohen Schuhen und Föhnfrisur, jeweils wenige Stunden nach der Geburt vor dem Kliniktor. Die Eindrücke aus dem Familienalltag. Sogar ein Interesse für Fotografie entwickelte sie bei aller Gier der Öffentlichkeit am Privatleben ihrer Familie.

Kate die Große, die sich dann Anfang des Jahres für ein paar Wochen........

© Frankfurter Allgemeine


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