Es ist keine schöne Pointe, aber immerhin eine bezeichnende, dass am Ende dieser denkwürdigen klimapolitischen Woche der Bundesverkehrsminister den Höhenflug der Klimaschützer mit schwerem Geschütz beendet: Ein „flächendeckendes Fahrverbot“ an zwei Tagen pro Woche, damit droht Volker Wissing (FDP) seinen Koalitionspartnern in einem Brief, sollten die nicht bis zum Sommer endlich der Überarbeitung des Klimaschutzgesetzes zustimmen und damit einwilligen, dass der Verkehrssektor von festen Emissionszielen befreit wird. Klimaschutz führt ins gesellschaftliche Chaos, mehr soll das heißen, nicht mehr und nicht weniger. Oder anders, wie gehabt: Ich, der Minister, sitze am längeren Hebel, und das Klimaschutzding, das ist Sache der anderen, nicht jedenfalls der Autofahrer.

Woran die Aufweichung des Klimaschutzgesetzes in der Koalition tatsächlich noch hängt, will Wissing nicht sagen. Nur so viel: Das nationale Klimaziel würde auch ohne den Klimaschutzbeitrag des Verkehrssektor erreicht. Eine triftige Rolle im verfahrenen Ampelgeflecht dürfte aber auch der sehr klare Bundesverfassungsgerichtsbeschluss von vor drei Jahren spielen. Unterlässt es die Regierung, so urteilte Karlsruhe damals, ihre Klimaziele durch zureichende, sprich: den internationalen Verpflichtungen angemessene Maßnahmen in allen klimarelevanten Bereichen zu erfüllen und damit die Rechte der künftigen Generationen auf ein erträgliches, stabiles Klima zu sichern, kann sie dafür haftbar gemacht werden.

Klimaurteile dieser Art hat es weltweit inzwischen eine ganze Reihe gegeben, ob gegen Länder oder Konzerne. Auch gegen das Luftfahrtunternehmen KLM. In dieser Woche startete der Berufungsprozess in den Niederlanden, in dem sich Shell gegen die Verurteilung zur stärkeren Emissionsminderung zur Wehr setzt, die Klimaschützer gerichtlich erstritten hatten. Wie zum Trotz hat die Konzernleitung ihre Klimaschutzbemühungen für die nächsten Jahre zuletzt noch einmal deutlich heruntergesetzt.

Nicht nur dem Energiekonzern könnte das am Ende teuer zu stehen kommen. Seitdem Mitte dieser Woche der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg die Logik der bindenden Klimaschutzziele weitergeführt und Klimaschutz in einem historischen Verfahren zu einem Menschenrecht aufgewertet hat, ist klar: Hohle Phrasen in der Klimapolitik sind von nun an justiziabel.

Der Fall der Schweizer Klimaseniorinnen, die mit ihrem Verein erfolgreich gegen einen ungenügenden Klimaschutz ihrer Regierung geklagt haben, könnte viele weitere Prozesse nach sich ziehen. Mit der beeindruckenden Mehrheit von sechzehn zu eins Stimmen haben die Straßburger Richter anerkannt, dass es sich beim Klimawandel um eine existentielle Bedrohung für die Menschheit handelt, die politisch abzuwenden sei. Die Begründung war dabei dieselbe wie in allen anderen Fällen auch: Nicht dass keine Klimapolitik gemacht wird, ist justizseitig moniert worden, sondern dass diese Politik ungenügend ist. Maßstab dabei ist für die Richter allein die Wissenschaft, indirekt damit auch die Einschätzung des Weltklimarates IPCC, die zu dem Pariser Klimaabkommen und der von fast allen Staaten mitgetragenen Zielvorgabe – unter zwei Grad globaler Erwärmung und möglichst 1,5 Grad zu bleiben.

Die Greta-Thunberg-Kritiker werden es ungern hören, Tatsache aber ist: Das Gericht stützte sein Urteil auf „das Versäumnis, die zwingende wissenschaftliche Evidenz für den Klimawandel zu berücksichtigen“. Mit dem geflügelten Wort der Klimaschützer: Hört auf die Wissenschaft, das war Richtschnur im Straßburger Prozess.

QOSHE - Das Klimading der anderen - Joachim Müller-Jung
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Das Klimading der anderen

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12.04.2024

Es ist keine schöne Pointe, aber immerhin eine bezeichnende, dass am Ende dieser denkwürdigen klimapolitischen Woche der Bundesverkehrsminister den Höhenflug der Klimaschützer mit schwerem Geschütz beendet: Ein „flächendeckendes Fahrverbot“ an zwei Tagen pro Woche, damit droht Volker Wissing (FDP) seinen Koalitionspartnern in einem Brief, sollten die nicht bis zum Sommer endlich der Überarbeitung des Klimaschutzgesetzes zustimmen und damit einwilligen, dass der Verkehrssektor von festen Emissionszielen befreit wird. Klimaschutz führt ins gesellschaftliche Chaos, mehr soll das heißen, nicht mehr und nicht weniger. Oder anders, wie gehabt: Ich, der Minister, sitze am längeren Hebel, und das Klimaschutzding, das ist Sache der anderen, nicht jedenfalls der Autofahrer.

Woran die Aufweichung des Klimaschutzgesetzes in der Koalition tatsächlich noch hängt, will Wissing nicht........

© Frankfurter Allgemeine


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