Demokratie lebt vom freien Meinungsaustausch, aber der leidet, seit die Regierung meint, die Demokratie retten zu müssen. Schon im vergangenen Sommer hatte fast jeder zweite Deutsche das Gefühl, „vorsichtig“ sein zu müssen, wenn er seine politische Meinung äußert. Der bestürzende Befund, der vom Allensbach-Institut mit Angst vor „gesellschaftlichen Sanktionen“ gegen politische Unkorrektheiten erklärt wurde, dürfte sich nicht verbessern, wenn nun auch noch die Bundesregierung als Wächter auftritt. In ihrem so unerbittlichen wie durchsichtigen Vorgehen gegen „Demokratiegefährder“ verschiebt sie Grenzen, die nicht nur die Redefreiheit von Extremisten einengen.

Als oberster Zuchtmeister präsentiert sich dabei Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang, der dem Begriff des politischen Beamten eine ganz neue Farbe verleiht. „Meinungsfreiheit ist kein Freibrief“, schrieb er in der vergangenen Woche und hielt fest, dass auch „unterhalb der strafrechtlichen Grenzen Meinungsäußerungen verfassungsschutzrechtlich von Belang sein können“.

Vorher hatte er schon „verbale und mentale Grenzverschiebungen“ als Bedrohung problematisiert und vor dem „Einnisten“ bestimmter „Denk- und Sprachmuster“ gewarnt. Dass er damit nicht die Systemwechsel-Phantasien radikaler Klimaaktivisten meinte, versteht sich von selbst.

Haldenwang und seine Chefin, die sozialdemokratische Innenministerin Nancy Faeser, inszenieren sich als heroische Front gegen rechte Umsturzversuche und verminen dafür das Gelände für jedermann. Wer den Staat mit seinem Reden (oder Denken?) „delegitimiert“, wird zum Beobachtungsgegenstand, wer ihn „verhöhnt“, soll es mit dem „starken Staat zu tun“ bekommen. Unter dieser modernen Pickelhaube wäre selbst Kurt Tucholsky als Verdachtsfall eingestuft worden, weil er verächtlich über die deutsche „Beamtenpest“ schrieb. Und wie kritisch müsste der Verfassungsschutz heute erst die Schriften des konservativen Denkverschiebers Karl Heinz Bohrer studieren, der einst Kanzler Kohl als „Klippschüler“ verhöhnte und die Staatsräson der Republik als „Europrovinzialismus“ delegitimierte.

Wie schnell sich Regierungskritiker in der Rolle des Staatsfeindes wiederfinden können, zeigt der Fall Maaßen. Am Mittwoch reichte der frühere Verfassungsschutzpräsident Klage ein, nachdem ihn sein Nachfolger als „rechtsextremes Beobachtungsobjekt“ eingestuft hatte. Selbst politische Konkurrenten wie der Liberale Wolfgang Kubicki wundern sich nach Durchsicht des Verfassungsschutz-Dossiers über den „Mangel an hinreichenden Anhaltspunkten“.

Leute wie Maaßen wissen sich mit den Möglichkeiten des Rechtsstaats zu wehren. Andere erleben Faesers wehrhafte Demokratie als Wehrlose – wie die 16 Jahre alte Schülerin in Ribnitz-Damgarten, die AfD-nahes Videomaterial gepostet hatte und deshalb von zwei uniformierten Polizisten für ein „Aufklärungsgespräch“ aus dem Klassenzimmer geführt wurde. Der maßlose Eingriff ging auf einen Schuldirektor zurück, der vermutlich der Demokratie einen Dienst erweisen wollte, indem er seine Fürsorgepflicht dem „Kampf gegen rechts“ unterordnete.

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Der Vorgang reflektiert das neue, erwünschte Klima. Laut Faeser sollte die „Demokratieerziehung“ am besten schon im Kindergarten ansetzen, damit die Bürger erst „gar nicht anfällig werden für Ideologien der Ausgrenzung“. Da möchte man fragen: Wer wird hier eigentlich von wem ausgegrenzt?

QOSHE - Unter der modernen Pickelhaube - Jochen Buchsteiner
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Unter der modernen Pickelhaube

14 49
09.04.2024

Demokratie lebt vom freien Meinungsaustausch, aber der leidet, seit die Regierung meint, die Demokratie retten zu müssen. Schon im vergangenen Sommer hatte fast jeder zweite Deutsche das Gefühl, „vorsichtig“ sein zu müssen, wenn er seine politische Meinung äußert. Der bestürzende Befund, der vom Allensbach-Institut mit Angst vor „gesellschaftlichen Sanktionen“ gegen politische Unkorrektheiten erklärt wurde, dürfte sich nicht verbessern, wenn nun auch noch die Bundesregierung als Wächter auftritt. In ihrem so unerbittlichen wie durchsichtigen Vorgehen gegen „Demokratiegefährder“ verschiebt sie Grenzen, die nicht nur die Redefreiheit von Extremisten einengen.

Als oberster Zuchtmeister präsentiert sich dabei Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang, der dem Begriff des politischen Beamten eine ganz neue Farbe verleiht. „Meinungsfreiheit ist kein Freibrief“, schrieb er in der vergangenen Woche und hielt fest,........

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