„Eintönigster Mann der Schweiz“ hat man ihn genannt, aber auch „bester Notenbanker der Welt“ und „personi­fizierte Preisstabilität“: Thomas Jordan, den Präsidenten der Schwei­ze­rischen Nationalbank (SNB). Nach zwölf Jahren im Amt hat er für Ende September seinen Rücktritt erklärt, obwohl sein Vertrag noch bis 2027 läuft. Zu seinen Gründen ließ sich der 61 Jahre alte Jordan wie üblich nicht weiter aus; es sei jetzt einfach der rich­tige Zeitpunkt gekommen.

Das kann man in der Tat so sehen: Der Berner Professor für Geldtheorie und Geldpolitik hat die Notenbank mit sicherer Hand und meist regungslosem Gesicht durch eine krisen­geschüttelte Zeit geführt und für mus­tergültige Preisstabilität gesorgt.

Während die Inflation in den Vereinigten Staaten und im Euroraum zeitweise über die 10-Prozent-Marke kletterte, stieg sie in der Schweiz nie über 3,5 Prozent. Heute liegt sie bei 1,3 Prozent, also wieder im angestrebten Zielkorridor. Und sein Haus ist bestellt: Thomas Jordan hat über viele Jahre einen möglichen Nach­folger aufgebaut, den heutigen SNB-Vizepräsidenten Martin Schlegel.

Die Schweizer Geldpolitik muss mit einer Herausforderung umgehen, die nur auf ersten Blick als ein Luxusproblem anmuten mag: mit der übergroßen Attraktivität der Schweiz als sicherem Hafen für Anleger aus aller Welt.

Je mehr die Unsicherheit in der Welt wächst, desto mehr strömt Anlagekapital in die Eidgenossenschaft – und das treibt den Frankenkurs in die Höhe. Eine starke eigene Währung ist schön für jeden, der im Ausland einkauft. Aber die Schweizer Wirtschaft ist exportorientiert, und die kursbedingte Verschlechterung ih­rer Wettbewerbsfähigkeit verlangt ihr immer wieder viel ab.

Jordan, an sich ein vorsichtiger Mann mit starken Prinzipien, war im Umgang mit diesem Problem sowohl beherzt als auch pragmatisch. Unter seiner Ägide gab die SNB im Jahre 2015 den Euromindestkurs von 1,20 Franken auf.

Vor dem Hintergrund der stark expansiven Geldpolitik der Euro­päischen Zentralbank war das Zinsgefälle zur Schweiz zu groß geworden; die Aufblähung der SNB-Bilanz durch ihre Devisenkäufe zur Dämpfung des Frankenkurses war nicht mehr tragbar. Stattdessen führte sie Negativzinsen ein. Davon wandte sie sich erst Ende 2022 wieder ab und vollzog dann die schnellste Zinssteigerung ihrer Geschichte.

Eine heikle Aufgabe oblag Thomas Jordan auch in der Krise der einst zweitgrößten Bank der Schweiz, der Credit Suisse (CS), die sich zu einer globalen Finanzkrise auszuwachsen drohte. Weil die SNB neben der Sicherung der Preisstabilität auch den Auftrag hat, zur Stabilität des Finanzsystems beizutragen, war Jordan, der schon früh um die Gefährdung der CS wusste, an der vor nunmehr ei­nem Jahr in Windeseile ausverhandelten Rettung beteiligt – und das in ei­nem Umfang, der ihm kaum behagen konnte.

Die Bank UBS wurde zur Übernahme des Konkurrenten CS ge­drängt, der Staat gab umfangreiche Garantien, und die Notenbank gewährte außerordentliche Liquiditätshilfen ohne die üblichen Sicherheiten. Es ist umstritten, ob das wirklich notwendig war. Die Sache ist nach allem Anschein gut gegangen, aber derzeit untersucht eine Parlamentarische Untersuchungskommission das ungewöhnliche Vorgehen noch im De­tail. Ihre Ergebnisse sollen Ende des Jahres vorliegen.

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So vorbildlich die Leistung der SNB unter Thomas Jordans Führung insgesamt ist, so sehr haben die vergangenen zwölf Jahre auch offenbart, wo die Schwachstellen im System liegen. Aus der Politik kommen immer wieder Angriffe auf die Unabhängigkeit der Notenbank, von Begehrlichkeiten gegenüber der Ausschüttung ih­rer Gewinne an Bund und Kantone bis hin zu ihrer Instrumentalisierung über das Maß ihres Mandats hinaus wie im Fall der CS-Krise. Diese gilt es abzuwehren, und hier wird der Nachfolger im Amt des SNB-Präsidenten ein mindestens so breites Kreuz haben müssen wie Jordan.

Dessen zentrale Rolle ist allerdings ein weiteres Problem, das der Lösung bedarf: Das Direktorium der SNB, das neben dem Präsidenten nur noch zwei weitere Personen umfasst, ist zu klein, als dass die geldpolitischen Entscheidungen wirklich breit abgestützt wären. Auch jemand von einer ähnlich umfassenden Kompetenz wie Thomas Jordan braucht einmal Widerworte.

Das ist umso wichtiger, als die Zukunft für die Währungshüter der Schweiz gewiss nicht wesentlich leichter wird: An ihrem Grundpro­blem, der übergroßen Anziehungskraft des Landes für Anleger, dürfte sich wenig ändern, denn ein Ende der globalen Unsicherheit ist nicht in Sicht.

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Notenbanker mit breitem Kreuz gesucht

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03.03.2024

„Eintönigster Mann der Schweiz“ hat man ihn genannt, aber auch „bester Notenbanker der Welt“ und „personi­fizierte Preisstabilität“: Thomas Jordan, den Präsidenten der Schwei­ze­rischen Nationalbank (SNB). Nach zwölf Jahren im Amt hat er für Ende September seinen Rücktritt erklärt, obwohl sein Vertrag noch bis 2027 läuft. Zu seinen Gründen ließ sich der 61 Jahre alte Jordan wie üblich nicht weiter aus; es sei jetzt einfach der rich­tige Zeitpunkt gekommen.

Das kann man in der Tat so sehen: Der Berner Professor für Geldtheorie und Geldpolitik hat die Notenbank mit sicherer Hand und meist regungslosem Gesicht durch eine krisen­geschüttelte Zeit geführt und für mus­tergültige Preisstabilität gesorgt.

Während die Inflation in den Vereinigten Staaten und im Euroraum zeitweise über die 10-Prozent-Marke kletterte, stieg sie in der Schweiz nie über 3,5 Prozent. Heute liegt sie bei 1,3 Prozent, also wieder im angestrebten Zielkorridor. Und sein Haus ist bestellt: Thomas Jordan hat über viele Jahre einen möglichen Nach­folger aufgebaut, den heutigen SNB-Vizepräsidenten Martin Schlegel.

Die Schweizer Geldpolitik muss mit einer........

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