Alle reden vom Wetter. Wir nicht, Eis und Schnee sind ohnehin schnell dahin. Und außerdem spielt das Wetter bald überhaupt keine Rolle mehr, weil wir das Haus nicht mehr verlassen. Zumindest sobald wir ein Exemplar des auf dem Weltwirtschaftsforum vorgestellten Google Starliners ergattert haben. Die Namensgleichheit mit dem Pannenraumschiff von Boeing ist ungewollt treffend, schließlich geht es darum, dass geplante Reisen im Raum erst gar nicht stattfinden. Ersatz verspricht Google mit einem Video-Konferenzsystem, das den Holodeckträumen unserer Jugend arg nahekommt. Das Gegenüber sieht uns dreidimensional, schaut uns in die Augen, und wenn wir den Kopf nur ein wenig bewegen, sehen wir den anderen von der Seite, ganz wie im echten Leben ohne Helm oder Computerbrille. Keine Kauderwelsch-Durchsagen auf zugigen Bahnsteigen mehr, keine Flughafengastronomie mit überteuertem Kaffee und kostenloser Unterkühlung, keine Staus auf überlasteten Autobahnen, keine missmutigen Taxifahrer, das klingt wahrlich vielversprechend.

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Die Controller des Arbeitgebers zeigen sich zufrieden, fast zumindest, denn wo nichts ist, kann auch nichts mehr kontrolliert und gestrichen werden. Ähnliches gilt für den Verkehrsminister, der erreicht ei­nerseits seine Klimaziele nun spielend, vermutlich hilft ein Kabinettskollege noch mit einem großzügigen Förderprogramm für die Instal­lation in kleinen und mittleren Un­ternehmen. Andererseits ist es halt doch spannender, eine zuvor eingestürzte und neu gebaute Brücke feierlich zu eröffnen, ein Anlass, den es ob der maroden Verkehrsinfrastruktur künftig häufiger gäbe, führe dem Minister nicht das Unternehmen aus Mountain View in die Parade.

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Das Einerseits ist vom Andererseits nicht zu trennen, das nennt man Leben oder, wenn es sein muss, auch Dialektik. So freuen wir uns am Ziel der Reise auch auf einen festen Händedruck oder eine Umarmung. Und im Urlaub auf den Geruch des Meeres, den Geschmack des frisch gefangenen Fisches. Auch wenn vermutlich in den Laboren der Internetfirmen daran gearbeitet wird, alles Sinnliche in Bytes zu zerlegen: Vorerst sind wir allen Widrigkeiten zum Trotz weiter auf Reisen. Und wenn uns das Wetter die Pläne verhagelt, haben wir wenigsten etwas zu erzählen.

QOSHE - Das eine und das andere - Johannes Winterhagen
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Das eine und das andere

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21.01.2024

Alle reden vom Wetter. Wir nicht, Eis und Schnee sind ohnehin schnell dahin. Und außerdem spielt das Wetter bald überhaupt keine Rolle mehr, weil wir das Haus nicht mehr verlassen. Zumindest sobald wir ein Exemplar des auf dem Weltwirtschaftsforum vorgestellten Google Starliners ergattert haben. Die Namensgleichheit mit dem Pannenraumschiff von Boeing ist ungewollt treffend, schließlich geht es darum, dass geplante Reisen im Raum erst gar nicht stattfinden. Ersatz verspricht Google mit einem Video-Konferenzsystem, das den Holodeckträumen unserer Jugend........

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