Not macht erfinderisch. Mit dieser Volksweisheit darf sich der eine oder andere deutsche Regierungsvertreter trösten, der zur Weltklimakonferenz nach Dubai reist. Denn der Handlungsspielraum einer allzu gestaltungswilligen Klimapolitik schwindet. Die Ampel scheint in den Augen vieler Beobachter gefangen zwischen mangelnden finanziellen Möglichkeiten einerseits und den aus dem Klimaschutzgesetz resultierenden Anforderungen andererseits.

Zum Nulltarif ist die Abkehr von fossilen Energieträgern nicht zu haben, dafür sind sie zu billig. Zwar schickt die Sonne keine Rechnung, aber auch die Geologie tut dies nicht, die in Jahrmillionen unter hohem Druck Biomasse so stark verdichtet hat, dass sehr viel Energie auf geringem Raum gespeichert wurde. Die hohe Energiedichte von Erdöl und Kohle sorgt für geringe Bereitstellungskosten, für einen Liter Superbenzin betragen sie zum Beispiel über alle Verarbeitungsschritte 60 bis 70 Cent, alle Transportwege vom Bohrloch bis an die Tankstelle eingerechnet.

Notwendiges staatliches Handeln ist aber nicht gleichzusetzen mit Subventionen für einzelne Technologien, die das Etikett „grün“, „nachhaltig“ oder „klimaneutral“ tragen. Um ­technologiespezifische Förderinstrumente mit maximaler Effizienz einzusetzen, müssten die CO2-Vermeidungskosten aller Optionen über Jahrzehnte im Voraus exakt bekannt sein. Das ist schon für Elektroautos angesichts der sich rasch entwickelnde Akkutechnik schwierig. Für großtechnische Anlagen etwa zur Wasserstoffproduktion ist eine solche Pro­gnose unmöglich, nicht nur weil manches bisher erst im Labor funktioniert, sondern weil die Nutzung über 20 bis 30 Jahren erfolgt. Instrumenten, die eine freie Preisbildung unter für alle Marktteilnehmer gleichen Bedingungen erlauben, ist daher unbedingt der Vorzug zu geben.

Ein solches Instrument gibt es, und bewährt hat es sich auch: das europäische Emissionshandelssystem. Dieser Mechanismus – der nichts anderes als eine Verknappung der Emissionsrechte darstellt – hat dazu geführt, dass die deutsche Energiewirtschaft ihre CO2-Emissionen seit 2010 um etwa 30 Prozent reduzierte. Die ebenfalls dem Emissionshandel unterworfene Industrie kommt im gleichen Zeitraum auf eine Reduktion von mehr als zehn Prozent. Eine zweites Emissionshandelssystem für Gebäude und Verkehr vom Jahr 2027 an ist schon beschlossen, Deutschland baut für den Übergangszeitraum eine Brücke mit allmählich steigenden, aber staatlich festgesetzten CO2-Abgaben.

Ein zentraler Webfehler beider Ansätze besteht jedoch darin, das Denken in Sektoren zu zementieren, in dem eine Tonne Kohlendioxid unterschiedlich viel kostet, je nachdem, ob sie in einem Großkraftwerk oder in einem Gebäude ausgestoßen wird. Schon vor dem Hintergrund, dass die durch das Treibhausgas verursachten Schäden nur einen einzigen globalen Preis haben, scheint das zweifelhaft. Wenn ein Heizkraftwerk für ein Fernwärmenetz andere Kosten für die Emissionsrechte zu tragen hat als die Gasheizung in einem einzelnen Gebäude, stellt das nichts anders als eine Wettbewerbsverzerrung unter konkurrierenden Technologien dar.

Gäbe es einen einheitlichen Markt für das Recht, eine stetig abnehmende Menge an Treibhausgasen zu emittieren – andere Stoffe als CO2 würden als Äquivalente berücksichtigt – und würden die Emissionsrechte stufenweise verknappt, bräuchte es den in Dubai ausgetragenen Schaukampf um ein weltweites Ausstiegsdatum aus den fossilen Energieträgern nicht mehr. Die effizientesten Technologien würden sich zwangsläufig von allein durchsetzen.

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Eine wahrscheinliche Konsequenz wäre, dass der auf hohe Energiedichte angewiesene Verkehr deutlich später klimaneutral werden würde als andere Sektoren, die geringere CO2-Einsparkosten aufweisen. Der Umwelt würde dies nicht schaden, der deutschen Wirtschaft aber könnte es nutzen, sofern gute Lösungen für den Handel über die EU-Außengrenzen hinweg gefunden werden. Dazu gehört auch, dass die deutschen Unternehmen des Maschinenbaus die Möglichkeit bekommen, innovative Technologien wie die CO2-Abscheidung, -speicherung und -nutzung in ihrem Heimatland erproben können.

Eine gute geführte Regierung könnte die aktuellen Haushaltsnöte auch als Chance für eine grundsätzliche Reform der Klimaschutzgesetze nutzen. Eine größere Technologieoffenheit, weniger Subventionen und ein radikaler Abbau von Vorschriften könnten privates Kapital mobilisieren und womöglich sogar das vom Kanzler versprochene grüne Wirtschaftswunder auslösen.

QOSHE - Klimaschutz ohne Plan - Johannes Winterhagen
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Klimaschutz ohne Plan

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04.12.2023

Not macht erfinderisch. Mit dieser Volksweisheit darf sich der eine oder andere deutsche Regierungsvertreter trösten, der zur Weltklimakonferenz nach Dubai reist. Denn der Handlungsspielraum einer allzu gestaltungswilligen Klimapolitik schwindet. Die Ampel scheint in den Augen vieler Beobachter gefangen zwischen mangelnden finanziellen Möglichkeiten einerseits und den aus dem Klimaschutzgesetz resultierenden Anforderungen andererseits.

Zum Nulltarif ist die Abkehr von fossilen Energieträgern nicht zu haben, dafür sind sie zu billig. Zwar schickt die Sonne keine Rechnung, aber auch die Geologie tut dies nicht, die in Jahrmillionen unter hohem Druck Biomasse so stark verdichtet hat, dass sehr viel Energie auf geringem Raum gespeichert wurde. Die hohe Energiedichte von Erdöl und Kohle sorgt für geringe Bereitstellungskosten, für einen Liter Superbenzin betragen sie zum Beispiel über alle Verarbeitungsschritte 60 bis 70 Cent, alle Transportwege vom Bohrloch bis an die Tankstelle eingerechnet.

Notwendiges staatliches Handeln ist aber nicht gleichzusetzen mit Subventionen für einzelne Technologien, die das Etikett „grün“, „nachhaltig“ oder „klimaneutral“ tragen. Um........

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