Vor Kurzem erschien ein Buch, das die Behauptung, immer häufiger würden unliebsame Künstler und Wissenschaftler „gecancelt“, in den Bereich der Gespenstergeschichten verwies. Alles nur Panik, alles nur Hörensagen, alles nur ein konservatives Gerücht, meinte der Stanforder Professor Adrian Daub. Tatsächlich erreichen uns aber wöchentlich Meldungen von ausgeladenen Künstlern, durch Geschrei ­gesprengten Podien, aufgrund von ebensolchem Geschrei abgebrochenen Vorträgen und von Büchern, an denen herumretuschiert wird, weil sie danach angeblich moralisch sauberer sind. Mal „canceln“ dabei die moralisierenden Linken, mal werden sie gecancelt, weil sie einen offenen Brief unterschrieben haben, den die moralisierenden Rechten nicht ertragen.

Der jüngste Fall stellt die Absurditäten des Cancelns besonders deutlich vor Augen. In Pullach wollte eine Schule den Namen Otfried-Preußler-Gymnasium, den sie seit 2014 trägt, loswerden. Der Schuldirektor, der bei seiner Berufung mitteilte, von diesem Namen nur „am Rande“ gehört zu haben, begründet die Aversion so: Preußler habe als Siebzehnjähriger einen Roman geschrieben, der den Normen der Hitlerjugend entsprach. Davon habe er sich nie distanziert. Außerdem zitiert der Direktor aus einem Brief Preußlers, der selbst Lehrer und Schuldirektor war, in dem er über die Ödnis des Schulbetriebs stöhnt. Er sei also kein vorbildlicher Lehrer gewesen. Fünf, setzen. Außerdem gebe es keine „gymnasialen Anknüpfungspunkte“ an Preußler.

Wir können dem Schuldirektor zugutehalten, dass er ein Mathematik- und Physiklehrer ist, mithin bei Literatur entschuldigt fehlt. Dass in den Kinderbüchern von Otfried Preußler bei den „Konfliktlösungen“, wie er schreibt, Magie und Gewalt eine Rolle spielen, streicht er rot an. Was die Gewalt angeht, so möchten wir darauf hinweisen, dass sie in vielen Konflikten eine Rolle spielt und Kinderbüchern nicht dazu da sind, das vor ihren Lesern zu verbergen. Kinderbücher sind keine Handbücher für Coaches. Was die Magie angeht, so ist sie, wenn Hexen und Zauberer zu den Figuren gehören, schwer zu umgehen.

Übrigens wird Magie bei Preußler subtil kritisiert. „Die kleine Hexe“ bietet hier vielfältige gymnasiale Anknüpfungspunkte. Und würden die Gegner seines Namens auch Goethe-Gymnasien mit dem Magie-Argument umbenennen wollen? Hat der Schulleiter schon einmal davon gehört, dass das erfolgreichste Jugendbuch der jüngeren Zeit von einer Zauberschule handelt? Hat er überhaupt einmal ein Buch von Preußler gelesen, „Der kleine Wassermann“ etwa oder den „Räuber Hotzenplotz“? Oder gehört er zu den Erwachsenen, den ihre Kindheit und Kindlichkeit überhaupt peinlich ist? Die in Magie nur Unfug erkennen können und in Gewalt keine Wirklichkeit, die sich durch Weiterbildungsseminare austreiben lässt. Wie buchstabiert Direktor Fischbach Phantasie?

Die Schulleitung wusste die Eltern und die Schüler des Gymnasiums hinter sich. Sie alle stimmten in den Umbenennungsvorschlag ein. Vor so viel Ablehnung musste der Gemeinderat kapitulieren.

Aber nicht der Verstand. Preußler fand die Schule zuweilen öde – weiß Direktor Fischbach nicht, dass das die meisten ihrer Insassen tun und nur die Streber das Gegenteil behaupten? Preußler hat nach 1945 zu seinem politischen Jugendschwachsinn geschwiegen – könnte nicht Scham ein Grund dafür gewesen sein? Preußler sei kein gymnasial verwertbarer Autor – ist das ein Vorwurf gegen einen Kinderbuchautor, oder ist es nicht, was sein Buch „Krabat“ angeht, ein Vorwurf gegen den Deutschunterricht der Unterstufe? Schließlich: Preußler habe keinen ­Bezug zu Pullach – was machen wir dann aber mit dem Schillergymnasium in Frankfurt, dem Berliner John-Lennon-Gymnasium oder dem Marie-Curie-Gymnasium in Recklinghausen?

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Es wie bei anderen Beispielen für das Canceln: Sie sind von einer solchen Dummheit, dass es wehtut. Der Name des größten deutschsprachigen Kinderbuchautors, er soll nicht mehr zu einer Schule passen. Und Jim Knopf, ein Buch gegen Rassismus durch und durch, wird in Text und Bild so lange nachbearbeitet, bis man glaubt, keinen Vorwurf aus der Abteilung des „sensitivity reading“ fürchten zu müssen. Den Nachweis, dass die um Worte wie „Neger“ (verwendet nur von einer als „Untertan“ bezeichneten Figur) oder „Indianer“ bereinigten Ausgaben zu mehr Toleranz, weniger Vorurteilen und weniger Verletzungen führen, erspart man sich. Hauptsache, die Erwachsenen haben ein gutes Gewissen. Otfried Preußlers und Michael Endes Ruhm wird es überleben. Man wird ihre Bücher noch lesen, wenn kaum einer mehr weiß, wer seine Gegner waren: lachhafte Reinigungskräfte, altkluge Kinder ihrer faden Zeit. Das Schulwort dafür ist: Streber.

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So dumm, dass es wehtut

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26.02.2024

Vor Kurzem erschien ein Buch, das die Behauptung, immer häufiger würden unliebsame Künstler und Wissenschaftler „gecancelt“, in den Bereich der Gespenstergeschichten verwies. Alles nur Panik, alles nur Hörensagen, alles nur ein konservatives Gerücht, meinte der Stanforder Professor Adrian Daub. Tatsächlich erreichen uns aber wöchentlich Meldungen von ausgeladenen Künstlern, durch Geschrei ­gesprengten Podien, aufgrund von ebensolchem Geschrei abgebrochenen Vorträgen und von Büchern, an denen herumretuschiert wird, weil sie danach angeblich moralisch sauberer sind. Mal „canceln“ dabei die moralisierenden Linken, mal werden sie gecancelt, weil sie einen offenen Brief unterschrieben haben, den die moralisierenden Rechten nicht ertragen.

Der jüngste Fall stellt die Absurditäten des Cancelns besonders deutlich vor Augen. In Pullach wollte eine Schule den Namen Otfried-Preußler-Gymnasium, den sie seit 2014 trägt, loswerden. Der Schuldirektor, der bei seiner Berufung mitteilte, von diesem Namen nur „am Rande“ gehört zu haben, begründet die Aversion so: Preußler habe als Siebzehnjähriger einen Roman geschrieben, der den Normen der Hitlerjugend entsprach. Davon habe er sich nie distanziert. Außerdem zitiert der........

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