Wladimir Putin doziert gern über die angeblichen Erfolge der russischen Wirtschaft. Das war schon in den vergangenen Jahren so, in denen zu dem Thema wenig Positives zu sagen war. Wie groß aber muss die Genugtuung des russischen Präsidenten nun sein, in Zeiten beispielloser Sanktionen wegen seines Angriffskriegs gegen die Ukraine über ein erwartetes Wachstum von 3,5 Prozent in diesem Jahr reden zu können, über verschwindend geringe Arbeitslosigkeit und steigende Reallöhne? All das und viele weitere Zahlen erwähnte Putin kürzlich in der mehrstündigen Fernsehfragerunde „Direkter Draht“, als er nach dem Zustand der Wirtschaft gefragt wurde – und verlor dabei kein einziges Wort über den Krieg.

Dabei ist er der wichtigste Grund für das Wachstum. Der Staat pumpt immer mehr Geld in den Rüstungssektor, 2024 werden die Ausgaben für das Militär erstmals seit Ende der Sowjetunion die für Soziales übersteigen. Der Krieg hat Priorität, und in seinem Fahrwasser florieren etliche Produktionszweige. Putin hob das starke Wachstum des verarbeitenden Gewerbes als „besonders erfreulich“ hervor, so etwas habe es „schon lange nicht“ gegeben – verschwieg aber, dass der Grund nicht eine im Patriotismustaumel explodierte Nachfrage der Russen nach Ladas ist, sondern Staatsaufträge wie zur Panzerproduktion.

Die niedrige Arbeitslosigkeit, die Putin ebenfalls als Errungenschaft darstellte, ist für die russische Zentralbank eins der aktuell größten Probleme: Weil viele Russen zum Militär eingezogen wurden oder davor flohen und Russland ohnehin ein demographisches Problem hat, fehlt es überall an Arbeitskräften, insbesondere gut ausgebildeten. Erfahrene Führungskräfte, die noch in Russland sind, leiten deshalb inzwischen oft mehrere Firmen; Unternehmen aus zivilen Branchen kämpfen mit immer höheren Löhnen um Personal, das sonst abwandert in die lukrativen Branchen, die für den Krieg produzieren.

Wegen des Arbeitskräftemangels kann die Produktion die riesige Nachfrage nicht bedienen. Die Betriebe, die für die Front produzieren, laufen schon im Drei-Schichten-Takt rund um die Uhr, mehr geht nicht. Die Wirtschaft ist überhitzt, die Preise steigen – dass die Inflation mit gut 7 Prozent höher ist als angestrebt, hat auch Putin jetzt anerkannt. Der Kreml weiß, dass die Unzufriedenheit darüber wächst. Die Zentralbank musste daher im Dezember zum fünften Mal in Folge den Leitzins erhöhen, auf nun 16 Prozent. Kredite aufzunehmen ist für viele Unternehmen damit unmöglich, insbesondere die zivile Wirtschaft wird von solchen Zinsen gebremst. Für das nächste Jahr gehen die meisten Ökonomen deshalb von einem viel geringeren Wachstum aus, manche auch von einer Rezession.

Es stimmt, dass Russland bisher viel besser als erwartet mit den Sanktionen zurechtkommt. Das hat viele Gründe: Die Zentralbank sorgte mit strengen Kapitalverkehrskontrollen und einem drastisch angehobenen Leitzins im vergangenen Jahr dafür, dass die Russen ihr Geld nicht außer Landes schafften. Russland war außerdem gut auf die Krise vorbereitet – auch jetzt, nach dem Einfrieren der Hälfte der Reserven im westlichen Ausland, hat Russland in seinem Nationalen Wohlfahrtsfonds noch rund 150 Milliarden Dollar zur Verfügung.

Die Russen sind außerdem Meister im Improvisieren, geschult durch lange Zeiten der Plan- und Misswirtschaft. Schon kurz nach dem Weggang westlicher Firmen wie H&M und Ikea wurden auf dem russischen Pendant von Ebay selbstverständlich originalverpackte Neuwaren angeboten.

Außerdem verdient Russland nach wie vor viel Geld mit dem Verkauf von Öl. Der Preisdeckel funktioniert nicht, weil zu viele Länder sich nicht um ihn scheren und weil Russland auch hier Wege gefunden hat, ihn zu umgehen. Doch diese Wege sind länger und teurer als vor dem Angriff, und mit der Umorientierung nach Osten geht eine wachsende Abhängigkeit von China einher, das jetzt schon am meisten Öl importiert und in Zukunft – wenn Putins Bitte um eine neue Pipeline in Peking stattgegeben wird – auch das meiste Gas kaufen soll.

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Der Präsident behauptet, Russlands Wirtschaft sei keine „Zapfsäule“ mehr, also unabhängiger von Öl und Gas geworden. Tatsächlich sind bloß zwei andere Abhängigkeiten hinzugekommen: der Krieg als Stimulus und der Staat, der sich immer mehr einmischt, mit Exportverboten Preise reguliert, mit erzwungenen Verkäufen von Exporterlösen den Rubel stützt, westliche Konzerne enteignet und vor allem: Milliarden in die Rüstung steckt.

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Russlands aufgepumpte Wirtschaft

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27.12.2023

Wladimir Putin doziert gern über die angeblichen Erfolge der russischen Wirtschaft. Das war schon in den vergangenen Jahren so, in denen zu dem Thema wenig Positives zu sagen war. Wie groß aber muss die Genugtuung des russischen Präsidenten nun sein, in Zeiten beispielloser Sanktionen wegen seines Angriffskriegs gegen die Ukraine über ein erwartetes Wachstum von 3,5 Prozent in diesem Jahr reden zu können, über verschwindend geringe Arbeitslosigkeit und steigende Reallöhne? All das und viele weitere Zahlen erwähnte Putin kürzlich in der mehrstündigen Fernsehfragerunde „Direkter Draht“, als er nach dem Zustand der Wirtschaft gefragt wurde – und verlor dabei kein einziges Wort über den Krieg.

Dabei ist er der wichtigste Grund für das Wachstum. Der Staat pumpt immer mehr Geld in den Rüstungssektor, 2024 werden die Ausgaben für das Militär erstmals seit Ende der Sowjetunion die für Soziales übersteigen. Der Krieg hat Priorität, und in seinem Fahrwasser florieren etliche Produktionszweige. Putin hob das starke Wachstum des verarbeitenden Gewerbes als „besonders erfreulich“ hervor, so etwas habe es „schon lange nicht“ gegeben – verschwieg aber, dass der Grund nicht eine im........

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