Die mediale Lüge ist kein Spross der digitalen Neuzeit. Verfälschte Fotografien, orchestrierte Desinformationskampagnen und getürkte Dokumente sind so alt wie die jeweiligen Medien selbst. Ein bekanntes Beispiel russischer Bildmanipulation datiert zurück auf das Jahr 1924: Aus einer Fotografie, die Wladimir Iljitsch Lenin vier Jahre zuvor bei einer Rede vor dem Bolschoitheater in Moskau zeigte, wurden seine Genossen Lew Borissowitsch Kamenew und Leo Trotzki kurzerhand herausretuschiert, nachdem Stalin die beiden Männer nach Lenins Tod zu politischen Gegnern erklärt hatte.
Das Bild sollte nicht länger deren politische Nähe zueinander dokumentieren. Zurück blieb neben Lenin auf dem verfälschten Bild nur die leere Holztribüne an der Stelle, wo seine Genossen vormals gestanden hatten. Stalin erkannte die Manipulation der Medien als Machtinstrument: Schließlich ist Geschichte nicht das, was war, sondern das, was dokumentiert ist.
Hundert Jahre später tritt der russische Präsident Wladimir Putin mit seinem Informationskrieg gegen den Westen in Stalins Fußstapfen. Zuletzt flutete Russland die Medienlandschaft mit der Falschmeldung, der britische König Charles sei tot. Das vermeintliche „Royal Announcement“, stilecht und doch gefälscht als Scan eines Schwarz-Weiß-Drucks, wie der Buckingham Palace ihn oft für seine Bekanntmachungen nutzt, verkündete am Montag: „Der König ist gestern Nachmittag unerwartet gestorben.“
Aber nichts da: Der König lebt. Die Nachricht erwies sich als politische Finte – wie zuletzt auch die Ungezieferhysterie, die Paris in Atem hielt. Denn auch das absurde Ausmaß der Bettwanzenplage (angeblich lauerten sie sogar in der Métro), entpuppte sich bei näherer Betrachtung als von russischen Accounts verbreitete Desinformation.
Wer heute wie vor hundert Jahren einzig nach dem Sinn der fingierten Narrative fragt und Mutmaßungen darüber anstellt, was Putin davon hat, wenn Franzosen sich in fremden Betten nicht mehr wohlfühlen, verkennt die Funktionslogik der digitalen Medien: Je grotesker die Lüge, desto effektiver verbreitet sie sich.
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Das führt etwa dazu, dass sich die Aufmerksamkeit der Menschen während der Scheinwahl in Russland auf den Gesundheitszustand des britischen Monarchen richtete statt auf die Geschehnisse im Land. Der Vorgang lieferte aber zugleich Erkenntnisse darüber, wie lange eine Lüge digital zirkulieren kann, bevor ihr Gegenteil bewiesen ist. Auf diesen Informationsgewinn dürfte es Russland angekommen sein.