Auch Joe Biden ist inzwischen frustriert. Gegenüber seinen Mitarbeitern im Weißen Haus soll er schon Ende November seinem Ärger über die miesen Umfragewerte Luft gemacht haben, wie erst jetzt bekannt wurde: Die Wirtschaft wachse, die Arbeitslosigkeit sinke, die Inflation auch. Und an der Wall Street würden Rekorde vermeldet.

Dennoch komme seine Botschaft in der Bevölkerung nicht an. Schlimmer noch: Weniger als ein Jahr vor der Präsidentenwahl liegt Biden in den entscheidenden „Swing States“ hinter Donald Trump, dem aussichtsreichen Bewerber um die republikanische Kandidatur. Unter Demokraten wächst die Nervosität. Was kann in den kommenden Monaten den Trend umkehren, wenn selbst diverse Gerichtsverfahren gegen den früheren Präsidenten dessen Umfragewerte nur noch weiter steigen lassen?

Dann kam es in der vergangenen Woche zur großen Überraschung: Das Oberste Gericht von Colorado schloss den Republikaner unter Verweis auf die Aufstandsklausel des 14. Verfassungszusatzes von den Vorwahlen in dem Bundesstaat aus. Die Begründung: Trump habe nicht nur den Mob angestachelt, das Kapitol zu stürmen. Noch nach Beginn der Belagerung des Kongresses am 6. Januar 2021 habe er Vizepräsident Mike Pence unter Druck gesetzt, seine Verfassungspflicht zu verletzen und die Beglaubigung von Bidens Wahlsieg zu verweigern.

Ist die aus der Zeit nach dem Bürgerkrieg stammende Klausel, welche Amerika nach dem Sieg der Nordstaaten vor aufrührerischen Südstaatlern schützen sollte, ein Weg, die Vereinigten Staaten im Jahr 2024 vor einer abermaligen Machtübernahme Trumps zu schützen? Könnten auch andere Bundesstaaten dem Beispiel Colorados folgen? Skepsis ist geboten. Der Supreme Court in Washington wird sich mit dem Fall befassen. Die neun Richter sind in der Regel darum bemüht, sich aus dem politischen Wettbewerb herauszuhalten. Das werden sie nun nicht mehr können.

Aber werden sie wirklich Trump die Eignung als Kandidat absprechen? Sie müssen noch über eine andere Frage entscheiden: Sonderermittler Jack Smith, der Trump in Washington unter anderem wegen Verschwörung angeklagt hat, hatte sich schon an das Gericht gewandt, um frühzeitig zu klären, ob Trump Immunität genieße.

Die Entscheidung aus Colorado ist für den Republikaner gefährlich. Sie wird Trump aber nur darin bestärken, seine Tonlage weiter zu verschärfen. Seine Argumentation wird dabei immer absurder. Erst kürzlich befand er: „Selbst Wladimir Putin sagt, dass Bidens – und das ist ein Zitat – politisch motivierte Verfolgung seines politischen Rivalen sehr gut für Russland ist, weil sie die Fäulnis des amerikanischen politischen Systems zeigt, was dann nicht mehr andere über Demokratie aufklären kann.“ Man rede über Demokratie, aber die ganze Welt schaue der Verfolgung eines politischen Gegners zu. Alle lachten über Amerika.

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Tatsächlich ist es eher ein Schaudern. Trump schreckt auch längst nicht mehr vor offenem Rassismus zurück: Einwanderer aus der ganzen Welt strömten nach Amerika, sagte er etwa, und „vergiften das Blut unseres Landes“. Vorher hatte er Migranten schon Parasiten genannt. Joe Biden bezeichnete Trumps Wortwahl als „Sprache, die man auch in Nazideutschland gehört“ habe. Es gibt kein Halten mehr. Im Januar beginnen die Vorwahlen. Im Westen muss man sich anschnallen.

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Der entfesselte Kandidat

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23.12.2023

Auch Joe Biden ist inzwischen frustriert. Gegenüber seinen Mitarbeitern im Weißen Haus soll er schon Ende November seinem Ärger über die miesen Umfragewerte Luft gemacht haben, wie erst jetzt bekannt wurde: Die Wirtschaft wachse, die Arbeitslosigkeit sinke, die Inflation auch. Und an der Wall Street würden Rekorde vermeldet.

Dennoch komme seine Botschaft in der Bevölkerung nicht an. Schlimmer noch: Weniger als ein Jahr vor der Präsidentenwahl liegt Biden in den entscheidenden „Swing States“ hinter Donald Trump, dem aussichtsreichen Bewerber um die republikanische Kandidatur. Unter Demokraten wächst die Nervosität. Was kann in den kommenden Monaten den Trend umkehren, wenn selbst diverse Gerichtsverfahren gegen den früheren Präsidenten dessen Umfragewerte nur noch weiter steigen lassen?

Dann kam es in der vergangenen Woche zur großen........

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