In der vorpopulistischen Ära galten in den westlichen Demokratien ein paar Grundregeln. So schlug in internationalen Krisen die Stunde der Exekutive. Im Angesicht einer äußeren Gefahr rückte man im Inneren zusammen. Die nicht regierenden Parteien erwiesen sich als loyale Opposition: konstruktiv, verantwortungsbewusst und patriotisch. Das war in Berlin oder London nicht anders als in Washington.

In den USA gilt diese Regel in der Doppelkrise, die der Ukraine- und der Gazakrieg für den Westen darstellen, nicht mehr. Zwar bewies Präsident Joe Biden mit seiner Reaktion auf die russische Aggression und den Terror der Hamas Führungsstärke. In Europa stellte er eine Koalition zur Unterstützung Kiews auf die Beine und sorgte für Geschlossenheit in der NATO. Im Nahen Osten sicherte er Israel umgehend Unterstützung zu, setzte gegenüber Iran auf Abschreckung und verlangte dann von Benjamin Netanjahu militärische Verhältnismäßigkeit.

Doch wird Joe Biden gegenwärtig zwischen den innen- und außenpolitischen Fronten zerrieben. Die USA drohen als Führungsmacht der westlichen Welt auszufallen, weil die Republikaner glauben, daraus parteipolitischen Profit schlagen zu können.

In der Frage der Militärhilfe für Kiew ist eine absurde Situation eingetreten. In beiden Kongresskammern gibt es fraktionsübergreifende Mehrheiten für ein neues Hilfspaket. Der Großteil der republikanischen Abgeordneten und Senatoren weiß, dass die Unterstützung für die Ukraine im nationalen Interesse Amerikas ist, da Wladimir Putin sich sonst ermutigt fühlen kann, die russische Einflusssphäre über die Ukraine hinaus auszuweiten.

Über Monate sah es so aus, als würde sich die republikanische Kongressführung ihre Zustimmung durch Zugeständnisse Bidens in der Migrationspolitik erkaufen, auch um die eigene Parteirechte, die inzwischen offen isolationistisch ist, abzufinden. Der Präsident hatte die Krise an der Südgrenze tatsächlich lange vernachlässigt. Die Republikaner hätten eine Trophäe im Wahljahr vorweisen können. So wurde seit jeher Politik in Washington gemacht.

Dieses Tauschgeschäft ist nun geplatzt. Donald Trump, dem nach den ersten Vorwahlen in seiner Partei die Präsidentschaftskandidatur nicht mehr zu nehmen ist, hat den neuen Sprecher im Repräsentantenhaus angewiesen, den Deal scheitern zu lassen. Biden hatte den Konservativen die schärfste Migrationsreform seit Jahrzehnten angeboten. Doch der frühere Präsident glaubt, dass die chaotischen Bilder vom Rio Grande ihm mehr nutzen werden als eine Trophäe.

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Für Trump, der die nächsten neun Monate der eigentliche republikanische Kongressführer ist, enthält die Blockade einen weiteren Mehrwert: Ohne den Migrationsdeal lässt auch das Geld für die Ukraine weiter auf sich warten. Der frühere Präsident, der einst im Gegenzug für Militärhilfe von Kiew Informationen über Hunter Biden als Wahlkampfmunition verlangte, hat noch eine offene Rechnung mit Wolodymyr Selenskyj. Trump schert sich nicht um das nationale Interesse, sondern nur um sein persönliches. Als wiedergewählter Präsident möchte er sich mit Putin über die Landkarte Osteuropas beugen und, wie einst die Minister der europäischen Monarchen, die Grenzen neu ziehen.

Teil des Deals wären auch Hilfsgelder für Israel gewesen. Dass die Republikaner nun den Demokraten vorwerfen, dem engsten Verbündeten im Nahen Osten nicht beizustehen, ist an Zynismus nicht zu überbieten. Biden, der im Roten Meer und im syrisch-irakischen Grenzgebiet immer mehr in den Konflikt mit irantreuen Milizen gezogen wird, befindet sich in einer Sandwich-Lage: Die Repu­blikaner, deren Kernklientel eifernde Evangelikale sind, werfen ihm vor, zu wenig für Israel zu tun. Und linke Demokraten fordern ihn auf, seine bedingungslose Unterstützung für Netanjahu aufzugeben.

Ein Teil seiner Wählerschaft droht damit, ihm im November die Stimme zu verweigern. Schon werden Vergleiche zu Jimmy Carter gezogen, dessen Amtszeit mit der Invasion der Sowjetunion in Afghanistan und der iranischen Geiselkrise endete. Putin, Netanjahu und die Mullahs in Teheran sind Trumps beste Wahlhelfer. Ob dessen Rechnung aufgeht, ist offen: Sein Spiel ist jedenfalls durchschaubar.

Für Europa und auch für Deutschland wäre eine Rückkehr Trumps das Ende aller Gewissheiten. Sicherheitspolitisch ist man darauf – trotz Zeitenwende – nicht ansatzweise vorbereitet. Die Biden-Jahre müsste man rückblickend als verschwendete Zeit betrachten. In Brüssel und Berlin hofft man einfach, dass es der Demokrat noch einmal packt. Das kann durchaus sein. Im Senat dürften dann aber die Erben Trumps das Sagen haben. Der allmähliche Rückzug der USA geht weiter.

QOSHE - Trumps Spiel und Amerikas Rückzug - Majid Sattar
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Trumps Spiel und Amerikas Rückzug

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10.02.2024

In der vorpopulistischen Ära galten in den westlichen Demokratien ein paar Grundregeln. So schlug in internationalen Krisen die Stunde der Exekutive. Im Angesicht einer äußeren Gefahr rückte man im Inneren zusammen. Die nicht regierenden Parteien erwiesen sich als loyale Opposition: konstruktiv, verantwortungsbewusst und patriotisch. Das war in Berlin oder London nicht anders als in Washington.

In den USA gilt diese Regel in der Doppelkrise, die der Ukraine- und der Gazakrieg für den Westen darstellen, nicht mehr. Zwar bewies Präsident Joe Biden mit seiner Reaktion auf die russische Aggression und den Terror der Hamas Führungsstärke. In Europa stellte er eine Koalition zur Unterstützung Kiews auf die Beine und sorgte für Geschlossenheit in der NATO. Im Nahen Osten sicherte er Israel umgehend Unterstützung zu, setzte gegenüber Iran auf Abschreckung und verlangte dann von Benjamin Netanjahu militärische Verhältnismäßigkeit.

Doch wird Joe Biden gegenwärtig zwischen den innen- und außenpolitischen Fronten zerrieben. Die USA drohen als Führungsmacht der westlichen Welt auszufallen, weil die Republikaner glauben, daraus parteipolitischen Profit schlagen zu können.

In der Frage der........

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