Hierzulande lange stiefmütterlich behandelt, stehen die Kernfusion und ihre Möglichkeiten derzeit hoch im Kurs. Auch bei politischen Entscheidungsträgern, die die Technologie bislang eher skeptisch betrachteten. „Ich möchte, dass wir in Deutschland unter den Ersten dabei sind, die ein Fusionskraftwerk bauen“, sagte Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger heute, als sie ihr Förderprogramm „Fusion 2040 – Forschung auf dem Weg zum Fusionskraftwerk“ in Berlin vorstellte. Fusion sei die riesige Chance, all unsere Energieprobleme zu lösen, schwärmte die Ministerin. Tatsächlich würde ein Gramm des Brennstoffs – die Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium – in einem künftigen Fusionsreaktor so viel Energie liefern, wie bei der Verbrennung von elf Tonnen Kohle entsteht. Und das, ohne das Klima dadurch mit Kohlendioxid zu belasten.

Dass die kontrollierte Verschmelzung von Wasserstoffkernen kein Papiertiger ist, zeigen Experimente am Lawrence Livermore National Laboratory. Dort ist es Ende 2022 erstmals gelungen, mit intensiven Laserstrahlen eine Fusionsreaktion auszulösen. Dabei wurde auf kleinem Raum erstmals mehr Energie frei, als man zuvor hineingesteckt hatte. Kürzlich konnte ein neuer Rekord verbucht werden. Auch die inzwischen stillgelegte britische Fusionsanlage JET in Culham hat mehrmals zeigen können, dass die Kernfusion mit dem magnetischen Einschlussverfahren funktioniert.

Mit fünf Milliarden Euro will die Bundesregierung die Fusionsforschung voranbringen und industrielle und staatlich geförderte Forschung noch stärker bündeln. Offenkundig ist die Angst groß, dass Deutschland in einer Technologie den Anschluss verlieren könnte, in der es noch immer führend ist. In den Vereinigten Staaten fördern bereits private Investoren mit Milliarden von Dollar Start-ups, die Fusionskraftwerke bauen wollen.

Und als Ende 2022 im Zuge des Ukrainekriegs das Erdgas plötzlich knapp wurde und die Energiepreise in die Höhe schnellten, kam es zu einem Umdenken in der Energiefrage. Die Kernfusion rückte in den Fokus.

Der Wettlauf um das erste deutsche Fusionskraftwerk hat bereits Fahrt aufgenommen. Mehrere Bundesländer haben sich schon als mögliche Standorte angeboten. Und gleich mehrere Start-ups wollen bis Ende des Jahrzehnts erste funktionsfähige Fusionsreaktoren präsentieren, die die Basis für ein späteres Kraftwerk bilden sollen. Manche Projekte klingen allerdings so ambitioniert, dass sie allenfalls bei Politikern Gehör finden.

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Bei aller Euphorie darf man aber nicht glauben, dass schon innerhalb eines Jahrzehnts Fusionsreaktoren für die CO2-freie Energiegewinnung zur Verfügung steht. Das wird frühestens Mitte dieses Jahrhunderts der Fall sein. Es sind noch viele technische Hürden zu überwinden, wie man am Beispiel des Internationalen Fusionsreaktors ITER sehen kann. In der noch im Aufbau befindlichen Anlage werden frühestens Mitte der Dreißigerjahre Deuterium- und Tritiumkerne miteinander verschmelzen.

Skeptiker erklären immer wieder, die Fusion komme für die Energiewende zu spät und könne das Klima nicht mehr retten. Dabei dürfte sich auch bei den Verfechtern der erneuerbaren Energien langsam die Einsicht verbreiten, dass die erneuerbaren Energiequellen – Wind und Strom – ein Back-up-System benötigen, wenn man nicht eine Dunkelflaute riskieren will.

Und tatsächlich sind Fusionskraftwerke eher dafür gedacht, eine Grundlast im Energiesystem sicherzustellen, das weiß auch die Forschungsministerin. Das Fusionsförderprogramm kommt zur richtigen Zeit. Allerdings werden die versprochenen Bundesmittel kaum reichen, um ein Fusionsfeuer auch hierzulande zu zünden oder länger am Brennen zu halten.

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In Deutschland brennt das Fusionsfeuer

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13.03.2024

Hierzulande lange stiefmütterlich behandelt, stehen die Kernfusion und ihre Möglichkeiten derzeit hoch im Kurs. Auch bei politischen Entscheidungsträgern, die die Technologie bislang eher skeptisch betrachteten. „Ich möchte, dass wir in Deutschland unter den Ersten dabei sind, die ein Fusionskraftwerk bauen“, sagte Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger heute, als sie ihr Förderprogramm „Fusion 2040 – Forschung auf dem Weg zum Fusionskraftwerk“ in Berlin vorstellte. Fusion sei die riesige Chance, all unsere Energieprobleme zu lösen, schwärmte die Ministerin. Tatsächlich würde ein Gramm des Brennstoffs – die Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium – in einem künftigen Fusionsreaktor so viel Energie liefern, wie bei der Verbrennung von elf Tonnen Kohle entsteht. Und das, ohne das Klima dadurch mit Kohlendioxid zu belasten.

Dass die kontrollierte Verschmelzung von Wasserstoffkernen kein Papiertiger ist, zeigen Experimente am........

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