In der Regierung ist die SPD zum Pragmatismus verurteilt. Zuletzt hat das Bundesverfassungsgericht sie auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Die schmerzhafte Folge heißt zugespitzt: kein Geld für nichts. Doch die Grünen wehren sich gegen Abstriche bei Klimaschutzprogrammen, die FDP stemmt sich gegen Steuererhöhungen und das Ausrufen einer neuen Notlage zur Aussetzung der Schuldenbremse, die SPD lehnt einen Sozialabbau ab.

Der Bundeskanzler muss nun mit seinen Partnern klären, wie sich das Unvereinbare vereinbaren lässt. Olaf Scholz ist bekennender Anhänger der gigantischen Subventionen zugunsten neuer Chipfabriken in Ostdeutschland. Eine Rücknahme der in Aussicht gestellten Hilfen wäre eine persönliche Niederlage. Ohne Tricks sind die unterschiedlichen Positionen schwer zusammenzubringen. Doch nach der Entscheidung aus Karlsruhe ist Vorsicht geboten mit kreativer Haushaltsgestaltung. Das erklärt die Verlängerung: Der Bundestag wird den Haushalt 2024 in diesem Jahr nicht mehr beschließen können.

So ist das Brot des Regierens hart und bitter. Da kommt Abwechslung gerade recht. Der dreitägige SPD-Parteitag bietet bis Sonntag die Gelegenheit, den unangenehmen Alltag wegzudrücken. Davon machen die Sozialdemokraten reichlich Gebrauch. Das dicke Antragsbuch ist voll mit Wünschen wie: einer höheren Erbschaftsteuer für Milliardäre und Millionäre, einer Wiederbelebung der Vermögensteuer, einem höheren Spitzensatz in der Einkommensteuer, einem Krisenzuschlag für Superverdiener und natürlich dem Aufweichen der rigorosen Schuldenbremse, um endlich all die schönen Dinge finanzieren zu können, die das Land nach den Vorstellungen der Genossen braucht, um fit zu werden für die Zukunft.

Die SPD versteht sich schon lange nicht nur als Garant des sozialen Ausgleichs, sondern auch als Partei der Moderne. Nicht ohne Grund hat sich die Koalition mit dem Sozialdemokraten im Kanzleramt dem Fortschritt verschrieben. Doch im Grunde ihres Herzens sind die Parteimitglieder zutiefst konservativ. Sie glauben nach wie vor inbrünstig an die Macht des Staates, nicht an die Kraft des Einzelnen – auch wenn vieles dagegen spricht. Man denke nur an sich verzögernde und verteuernde Großprojekte, an den kaum zu bewältigenden Andrang von Flüchtlingen, an die stockende Digitalisierung der Verwaltung, an schlichte Bahnfahrten, die sich verspäten oder sich gar zu einem richtigen Abenteuer weiten.

Die SPD-Mitglieder denken nicht daran, die zweite Aufstockung des Bürgergeldes um 12 Prozent binnen kurzer Frist infrage stellen, auch wenn das Soziale fast die Hälfte des Bundeshaushalts ausmacht und es sich heute schon für Leistungsbezieher kaum lohnt, eine Erwerbsarbeit anzunehmen. Die Antwort der Genossen ist denkbar schlicht: Dann muss man eben den Mindestlohn entsprechend kräftig erhöhen – die Frage, ob sich dann die Beschäftigung aus Sicht des Arbeitgebers noch lohnt, wird großzügig ausgeblendet.

Überhaupt scheint die Partei kein Interesse daran zu haben, ernsthaft zu prüfen, ob ihre Pläne wirklich in die Welt von heute passen. Die Vorstellung, man könnte Reiche so schröpfen, dass der Staat nennenswert mehr Mittel zur Verfügung hat, unterliegt einer Selbsttäuschung.

Die Welt ist heute anders als in den Sechziger- oder Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts. Alles ist mobiler, Betriebe, Unternehmer, viele Spitzenverdiener. Wenn Leistung und Gegenleistung nicht zusammenpassen, wird der Standort infrage gestellt. Der Binnenmarkt macht es möglich. Deutschland ist schon Hochsteuerland für Unternehmen und selbst für normale Arbeitnehmer. Da sollte sich jeder Gedanke an ein weiteres Drehen der Belastungsschraube von selbst verbieten.

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Auch die Flucht in neue Schulden wäre nicht nur falsch, weil das Geld erfahrungsgemäß nicht wie erhofft allein in zusätzliche Investitionen fließt, sondern auch unrealistisch. Die Union, ohne die es nicht geht, blockiert in der Opposition jedes Aufweichen der Schuldenregel im Grundgesetz. Selbst das Ausrufen einer weiteren Notlage ist alles andere als ein Selbstläufer. Das Bundesverfassungsgericht hat die Hürden dafür höher gelegt. Und in der Koalition versperrt die FDP die Fluchttür.

Politik beginnt bekanntlich mit der Anerkennung der Wirklichkeit. In der Regierung hat das die SPD grundsätzlich akzeptiert. Auf Parteitagen hebt sie ab. Die Regierungsmitglieder lassen dort den Delegierten den Raum zum Träumen – andersherum lassen diese Scholz in Ruhe regieren. So ist die alte SPD der neue Kanzlerwahlverein. Die Frage ist: wie lange?

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Die SPD hat kein Interesse an einem Realitätscheck

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08.12.2023

In der Regierung ist die SPD zum Pragmatismus verurteilt. Zuletzt hat das Bundesverfassungsgericht sie auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Die schmerzhafte Folge heißt zugespitzt: kein Geld für nichts. Doch die Grünen wehren sich gegen Abstriche bei Klimaschutzprogrammen, die FDP stemmt sich gegen Steuererhöhungen und das Ausrufen einer neuen Notlage zur Aussetzung der Schuldenbremse, die SPD lehnt einen Sozialabbau ab.

Der Bundeskanzler muss nun mit seinen Partnern klären, wie sich das Unvereinbare vereinbaren lässt. Olaf Scholz ist bekennender Anhänger der gigantischen Subventionen zugunsten neuer Chipfabriken in Ostdeutschland. Eine Rücknahme der in Aussicht gestellten Hilfen wäre eine persönliche Niederlage. Ohne Tricks sind die unterschiedlichen Positionen schwer zusammenzubringen. Doch nach der Entscheidung aus Karlsruhe ist Vorsicht geboten mit kreativer Haushaltsgestaltung. Das erklärt die Verlängerung: Der Bundestag wird den Haushalt 2024 in diesem Jahr nicht mehr beschließen können.

So ist das Brot des Regierens hart und bitter. Da kommt Abwechslung gerade recht. Der dreitägige SPD-Parteitag bietet bis Sonntag die........

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