Gelingt Christian Lindner die Wende – für sein Land, seine FDP, seine Person? Alle drei hätten einen Neustart dringend nötig. Kein anderes großes Industrieland hat so schlechte Wachstumsperspektiven. Keine Ampelpartei steht so schlecht da. Kein Minister hat so viel zu verlieren.

Der Mann, der die FDP aus der parlamentarischen Opposition geführt hat, könnte alles verspielen, was er in gut zehn Jahren aufgebaut hat. Wenn das Ampel-Abenteuer für die Liberalen so schlecht ausgeht, wie es momentan aussieht, könnte die FDP in eineinhalb Jahren nicht nur aus der Regierung fliegen, sondern auch aus dem Bundestag. Das wäre das Ende von Lindners politischer Karriere.

Aufschluss, wie das Manöver aussehen könnte, mit dem Lindner sich und seine Partei zu retten gedenkt, könnte dieses Wochenende geben. Da ist Parteitag. Die Delegierten werden sich gegenseitig Mut machen. Sie werden einmal mehr den Aufbruch beschwören und die Wende zum Besseren. Dummerweise nutzen sich solche Bekenntnisse ab.

Vor einem Jahr forderte die Partei eine Zeitenwende in der Standortpolitik. Nun ruft sie nach der Wirtschaftswende. Gegen die Diagnose lässt sich wenig sagen: Das Land lähmt sich selbst. Die Bürokratie bremst Initiative aus. Die Steuerlast schreckt Investoren ab, befördert Teilzeitarbeit und Altersteilzeit. Die Sozialausgaben dominieren den Bundeshaushalt, dringend gebotene Ausgaben für die Modernisierung und Verteidigung des Landes müssen aufgeschoben werden.

Der Widerspruch zwischen Parteibeschlüssen und Regierungsarbeit könnte kaum größer sein. Das Rendezvous mit der Realität ist im Fall der Liberalen besonders bitter. Als Teil der Koalition sind sie für das Bürgergeld mitverantwortlich. Zweimal ist es schon zum Jahreswechsel um 12 Prozent erhöht worden. Von solchen Zuwächsen können die allermeisten Arbeitnehmer nur träumen, die mit ihren Steuern und Sozialabgaben den Staat am Laufen halten.

Die FDP-Minister haben dem Heizungsgesetz zugestimmt, obwohl der Entwurf nicht ausgereift war. Die Reparatur im Parlament hat Stimmung und Stimmen gekostet. Gelernt hat daraus offenbar keiner. Auch der Gesetzentwurf zur Kindergrundsicherung ging durch das Kabinett.

Nun sagt Lindner: Im schlimmsten Fall stellen wir 5000 Staatsdiener ein, die mehr als 2 Milliarden Euro an zusätzlichen Staatsgeldern verteilen, damit danach eine ganze Stadt von der Größe Aschaffenburgs nicht mehr arbeiten geht und keine Steuern und Sozialabgaben entrichtet. Seine Fundamentalkritik bringt es auf den Punkt. Aber warum kommt er erst jetzt damit um die Ecke?

Anderes Beispiel, wie es nicht gehen sollte, aber im Regierungsalltag läuft, ist das Rentenpaket. Der Finanzminister fordert ein sozialpolitisches Moratorium – und stellt mit dem Arbeitsminister eine Reform vor, die den Haushalt und die Sozialversicherung lange hart belasten wird. Der vorgesehene Aufbau der Aktienrente ist kein Trost.

Mithilfe von Krediten will die FDP Vermögen für die Rente bilden. Selbst wenn die Rendite wie versprochen über den Zinsen liegt, reicht das nicht, um die Zusatzlast aus der neuen Renten-Haltelinie aufzufangen. Lindners Verweis auf eine mögliche Korrektur der Rentenformel in der nächsten Legislaturperiode ist ein Ablenkungsmanöver. Was heute verteilt wird, ist morgen kaum mehr einzusammeln.

Die Ausgaben für die Vergangenheit steigen unter der selbst ernannten Fortschrittskoalition. Die Abgaben für die Sozialversicherungen erreichen Höchststände. Eine breite Entlastung, die über die Entschärfung der kalten Progression hinausgeht, ist nicht in Sicht. Lindner und seine Getreuen fordern Steuerausnahmen für arbeitende Rentner, Fachkräfte aus dem Ausland und Arbeitnehmer mit Überstunden. Einst wollten Liberale ein einfaches, niedriges, gerechtes Steuerrecht. Jede neue Ausnahme führt davon weg.

Eine Wende gibt es derzeit nur bei den Zinsen. Lindner ist zugutezuhalten, dass er ein abermaliges Aufbohren der Schuldenbremse abblockt. Aber dafür will er die Notlagenkredite später zurückzahlen. Bis in die Sechzigerjahre läuft die Tilgung nach den geltenden Plänen aber ohnehin. Darf man das weiter verlängern? Lässt die nächste Krise so lange auf sich warten? Nicht wenige FDP-Wähler dürften diesen Plan kritisch sehen.

Vieles läuft offenkundig falsch. Lindner erinnert derzeit auffällig oft daran, dass die FDP schon einmal eine Regierung für ihre Überzeugungen verlassen hat. So will er die Wirtschaftswende erzwingen – reichlich spät, vielleicht zu spät für seine FDP.

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Warten auf die Wende der FDP

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22.04.2024

Gelingt Christian Lindner die Wende – für sein Land, seine FDP, seine Person? Alle drei hätten einen Neustart dringend nötig. Kein anderes großes Industrieland hat so schlechte Wachstumsperspektiven. Keine Ampelpartei steht so schlecht da. Kein Minister hat so viel zu verlieren.

Der Mann, der die FDP aus der parlamentarischen Opposition geführt hat, könnte alles verspielen, was er in gut zehn Jahren aufgebaut hat. Wenn das Ampel-Abenteuer für die Liberalen so schlecht ausgeht, wie es momentan aussieht, könnte die FDP in eineinhalb Jahren nicht nur aus der Regierung fliegen, sondern auch aus dem Bundestag. Das wäre das Ende von Lindners politischer Karriere.

Aufschluss, wie das Manöver aussehen könnte, mit dem Lindner sich und seine Partei zu retten gedenkt, könnte dieses Wochenende geben. Da ist Parteitag. Die Delegierten werden sich gegenseitig Mut machen. Sie werden einmal mehr den Aufbruch beschwören und die Wende zum Besseren. Dummerweise nutzen sich solche Bekenntnisse ab.

Vor einem Jahr forderte die Partei eine Zeitenwende in der Standortpolitik. Nun ruft sie........

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