Es hat schon seine Richtigkeit, dass die korrigierte Neuausgabe von „Jim Knopf“ so viel Wirbel macht. Wie in einem Brennglas konzentrieren sich da die grundsätzlichsten Fragen, worauf es mit Literatur, Kinderliteratur, Erziehung heute hinauslaufen soll. Etwas mehr Pragmatismus und Unterscheidungsvermögen wären dabei allerdings nicht schlecht. Das sogenannte N-Wort aus dem berühmten Kinderbuch zu tilgen ist keine Ausgeburt woker Selbstgerechtigkeit und zeugt auch nicht unbedingt von einem magischen Verhältnis zur Sprache.

Für schwarze Menschen ist dieses Wort heute eben keineswegs ein Selbstausdruck, sondern Inbegriff der Verachtung, die ihnen in den schlimmsten Zeiten ihrer Unterdrückung entgegenschlug.

Bei Michael Ende, der es 1960 an einer einzigen Stelle dem etwas beschränkten Untertan Herrn Ärmel in den Mund legte, war es natürlich nicht so gemeint. Aber das Wort gehörte damals ebenso wie harmlosere Stereotype zu den als ganz normal geltenden Redeweisen, mit denen Weiße Abweichungen von ihrer eigenen Normalität zu kennzeichnen pflegten. Für die, die nicht zu dieser Normalität gehören, konnten solche Benennungen schon immer etwas Ausschließendes und Verletzendes haben. Wer aber heute, da nicht wenige Deutsche nicht mehr ganz so weiß sind, immer noch am Nicht-bös-Gemeinten solch klischeehafter Zuschreibungen festhalten will, nimmt in Kauf, auch viele potentielle kleine Erstleser von Jim Knopf vor den Kopf zu stoßen. Bearbeitungen von Klassikern – und ein solcher ist Jim Knopf längst – für Kinder hat es im Übrigen immer wieder gegeben, wenn es gute pädagogische Gründe dafür gab. Das spräche dafür, die Debatte ein wenig gelassener zu nehmen.

Etwas anderes ist es jedoch, aus solch punktuellen Eingriffen ein generelles Prinzip der Anpassung an gegenwärtige Codes und Vorstellungen abzuleiten. Auch für eine solche Absicht liefert der Thienemann-Verlag, der die neue Jim-Knopf-Ausgabe herausgibt, leider Indizien. Schon aus der Titelzeichnung von F. J. Tripp ist die Pfeife, die Jim ebenso wie sein großer Freund Lukas in früheren Ausgaben im Mund hatte, herausretuschiert. Jims Freundin Li Si schenkt ihm zur Verlobung am Ende des Romans nun tatsächlich keine Tabakspfeife mehr, sondern einen Gürtel. Und der Erzähler spricht jetzt keinen „Leser“ mehr an, sondern eine „Leserschaft“. Es sieht so aus, als sollte die Phantasiewelt, die den Kindern da präsentiert wird, durch und durch bereinigt sein, frei von jeglichen moralischen, hygienischen und sprachlichen Staubablagerungen vergangener Zeitalter (nicht ganz frei freilich: die Verlobung unter Kindern konnte die sonst so strenge Sauberkeitsprüfung unbehelligt passieren).

Dahinter steht offenbar ein pädagogisches Konzept, dem zufolge Kinder am besten in einem imaginären Spiegelkabinett aufwachsen, in dem sie von allen Seiten nur von Ideen und Sprachregelungen umstellt sind, die auf dem jeweils gültigen aktuellen Stand sind. Die Moral, zu der die Kinder so erzogen werden sollen, liefe dann auf die jederzeitige Anpassung an den Mainstream hinaus oder wenigstens an die, die im eigenen Milieu den Ton angeben. Ähnlich fordern manche „Sensitivity Reader“ von der Literatur generell, dass sie ihre mit den momentanen Empfindlichkeiten abgeglichenen Absichten immer klar zu erkennen gibt.

Dass die Literatur ganz anderen Gesetzen folgt, liegt auf der Hand, aber auch gute Kinderbücher trauen ihren Lesern viel mehr zu. Zum Beispiel zu verstehen, dass es manchmal nicht reicht, sich an anderen zu orientieren, wenn man aufrecht bleiben will. Oder auch zu verstehen, dass jemand ein guter Mensch sein kann oder wenigstens kein böser Mensch sein muss, der sich eigenwillig ausdrückt, weil er aus einem anderen Land, aus einem anderen Milieu oder einer anderen Zeit kommt, und daher nicht die Sprache derer spricht, die den Ton angeben und sich selbst für gut halten. Zu verstehen also, dass man mit Fremdheit gut umgehen kann – und dass die beste Methode dafür Humor ist. Kinder müssen nicht das sperrige Wort „Ambiguitätstoleranz“ lernen. Aber das, was damit gemeint ist, ist vielleicht das Wichtigste, was ihnen Bücher mitgeben können.

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Es schadet, kurz gesagt, nicht, wenn Kinder merken, dass ein Buch aus einer anderen Zeit kommt – so wenig, wie dass es aus einem anderen Land kommt. Im Gegenteil: Es nützt vielleicht sogar sehr, um den Umgang mit Fremdheit einzuüben. Eltern brauchen ihren Kindern das auch nicht kompliziert zu erklären. Ihre Phantasie ist groß genug, dass sie das schon von sich aus verstehen, so wie sie verstehen, weshalb Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer beste Freunde sind – und dass das mit der Pfeife bloß ein witziger Einfall war.

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Jim Knopf raucht nicht mehr

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03.03.2024

Es hat schon seine Richtigkeit, dass die korrigierte Neuausgabe von „Jim Knopf“ so viel Wirbel macht. Wie in einem Brennglas konzentrieren sich da die grundsätzlichsten Fragen, worauf es mit Literatur, Kinderliteratur, Erziehung heute hinauslaufen soll. Etwas mehr Pragmatismus und Unterscheidungsvermögen wären dabei allerdings nicht schlecht. Das sogenannte N-Wort aus dem berühmten Kinderbuch zu tilgen ist keine Ausgeburt woker Selbstgerechtigkeit und zeugt auch nicht unbedingt von einem magischen Verhältnis zur Sprache.

Für schwarze Menschen ist dieses Wort heute eben keineswegs ein Selbstausdruck, sondern Inbegriff der Verachtung, die ihnen in den schlimmsten Zeiten ihrer Unterdrückung entgegenschlug.

Bei Michael Ende, der es 1960 an einer einzigen Stelle dem etwas beschränkten Untertan Herrn Ärmel in den Mund legte, war es natürlich nicht so gemeint. Aber das Wort gehörte damals ebenso wie harmlosere Stereotype zu den als ganz normal geltenden Redeweisen, mit denen Weiße Abweichungen von ihrer eigenen Normalität zu kennzeichnen pflegten. Für die, die nicht zu dieser Normalität gehören, konnten solche Benennungen schon immer etwas Ausschließendes und Verletzendes haben. Wer aber heute, da nicht wenige........

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