In den vergangenen Monaten ist Giorgia Meloni viel herumgekommen in der Welt. Und sie ist überall gut angekommen, von Indien und Japan über den Maghreb und die Emirate bis nach Amerika und am Wochenende in Ägypten. Im Weißen Haus setzte ein verzückter Präsident ihr einen Kuss auf die Stirn. Vor dem Kamin im Oval Office pries Biden die „wirklich enge Freundschaft“ zwischen den Vereinigten Staaten und Italien und dankte Meloni für ihre Führungsstärke.

Die erste Frau im höchsten Regierungsamt der drittgrößten Volkswirtschaft der EU macht bei ihren Auslandsreisen polyglott Bella Figura – noch vor Englisch und Französisch ist Spanisch ihre wohl stärkste Fremdsprache. Vor allem aber zeigt sie Konsistenz in den maßgeblichen außen- und sicherheitspolitischen Fragen. Zum zweiten Jahrestag der russischen Invasion reiste Meloni abermals in die Ukraine. In Kiew leitete sie per Videokonferenz das erste Gipfeltreffen der italienischen G-7-Präsidentschaft 2024, mit Präsident Wolodymyr Selenskyj an ihrer Seite.

Gewiss, das war Symbolpolitik, wie es die habituellen Reisen westlicher Politiker nach Kiew nun einmal sind. Und auch bei der militärischen Unterstützung Italiens für die Ukraine, deren Umfang Rom „aus Sicherheitsgründen“ geheim hält, gibt es viel Luft nach oben. Umfragen zeigen jedoch, dass in kaum einem EU-Staat so viele Bürger Waffenlieferungen an die Ukraine ablehnen wie in Italien. Die historischen Bindungen zwischen der Sowjetunion und Italien, wo es die größte kommunistische Partei diesseits des Eisernen Vorhangs gab, wirken bis heute nach.

Seit dem Terroranschlag der Hamas hat es in Italien auch weit mehr als tausend propalästinensische Demonstrationen gegeben. Die linke Opposition fordert einen sofortigen Waffenstillstand und sympathisiert mit den teils offen antisemitischen Protesten im Land. Angesichts dieser politischen Wetterlage würde sich mancher Opportunist dem Druck beugen. Doch die einst als Populistin oder gar Neofaschistin gebrandmarkte Regierungschefin hält stand und steht mit der EU fest an der Seite der Ukraine und Israels.

An der außenpolitischen Verankerung Italiens im atlantischen Westen wird Meloni voraussichtlich bis zum regulären Ende der Legislaturperiode im Herbst 2027 arbeiten können: Ihre Mitte-rechts-Koalition in Rom ist stabil, gemäß Umfragewerten wird sie vom Volk geschätzt. Den von ihrem linkspopulistischen Amtsvorgänger Giuseppe Conte betriebenen Beitritt zu Pekings Neuer Seidenstraße hat sie rückgängig gemacht. Mit dem sogenannten Mattei-Plan, den sie Ende Januar den in Rom versammelten afrikanischen Staats- und Regierungschefs vorstellte, will Meloni Italien zum Umschlagplatz für Energielieferungen aus Afrika machen, sich vollends aus der Abhängigkeit von Russland lösen und die Brückenfunktion ihres Landes im zentralen Mittelmeer stärken.

In der Migrationspolitik, wie überhaupt, hat Meloni Kooperation statt Konfrontation mit Brüssel praktiziert. Besuche in Tunis, Tripolis und Kairo absolvierte sie gemeinsam mit der EU-Kommissionspräsidentin und weiteren EU-Regierungschefs, um die Partner in Nordafrika zur Drosselung des Migrationsstroms über das Mittelmeer zu bewegen. Selbst Melonis bilaterales Abkommen mit Albanien zur Einrichtung von Aufnahme- und Abschiebezentren von Bootsmigranten fand den Segen Brüssels und wird von manchem als mögliches Modell für eine künftige gemeinsame EU-Migrationspolitik gepriesen.

Wenn nicht alles täuscht, werden Melonis Partei „Brüder Italiens“ und die von ihr geführte Parteienfamilie der Europäischen Konservativen und Reformer bei den Europawahlen im Juni deutliche Zugewinne erzielen. Schon jetzt ist sie die Führungsgestalt der Neuen Rechten Europas, die zunächst daheim und dann in Brüssel die konservative Wende vorantreiben. Anders als ihre Verbündeten in Polen und Ungarn setzt sie nicht auf Fundamentalopposition, sondern kommt mit Pragmatismus ans Ziel: Statt auf stur zu schalten und mit dem Italexit zu drohen, strebt Meloni die Verschiebung der politischen Kräfteverhältnisse in der EU an.

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Ob die Christdemokraten in Brüssel ihre verbrauchte Koalition mit Sozialdemokraten und Liberalen zugunsten eines breiten Bündnisses der Konservativen aufgeben können oder wollen, steht dahin. Der bereits jetzt erkennbare Meloni-Effekt aber wird bleiben: weniger grüne Gängelung der (Land-)Wirtschaft und mehr konventionelle Wachstumsförderung, weniger Umverteilung von Migranten in der EU und mehr Grenzsicherung sowie Vereinbarungen mit Drittstaaten, weniger woke Ideologie und mehr angstfreies Bekenntnis zu Nation und Tradition. Und sollte im Weißen Haus wieder Donald Trump herrschen, wäre niemand in der EU so gut in der Lage wie Meloni, in den transatlantischen Beziehungen wenigstens das Schlimmste zu verhindern.

QOSHE - Der Meloni-Effekt - Matthias Rüb
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Der Meloni-Effekt

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19.03.2024

In den vergangenen Monaten ist Giorgia Meloni viel herumgekommen in der Welt. Und sie ist überall gut angekommen, von Indien und Japan über den Maghreb und die Emirate bis nach Amerika und am Wochenende in Ägypten. Im Weißen Haus setzte ein verzückter Präsident ihr einen Kuss auf die Stirn. Vor dem Kamin im Oval Office pries Biden die „wirklich enge Freundschaft“ zwischen den Vereinigten Staaten und Italien und dankte Meloni für ihre Führungsstärke.

Die erste Frau im höchsten Regierungsamt der drittgrößten Volkswirtschaft der EU macht bei ihren Auslandsreisen polyglott Bella Figura – noch vor Englisch und Französisch ist Spanisch ihre wohl stärkste Fremdsprache. Vor allem aber zeigt sie Konsistenz in den maßgeblichen außen- und sicherheitspolitischen Fragen. Zum zweiten Jahrestag der russischen Invasion reiste Meloni abermals in die Ukraine. In Kiew leitete sie per Videokonferenz das erste Gipfeltreffen der italienischen G-7-Präsidentschaft 2024, mit Präsident Wolodymyr Selenskyj an ihrer Seite.

Gewiss, das war Symbolpolitik, wie es die habituellen Reisen westlicher Politiker nach Kiew nun einmal sind. Und auch bei der militärischen Unterstützung Italiens für die Ukraine, deren Umfang Rom „aus........

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