Die Argumente waren schon 2012 ausgetauscht, als der Adorno-Preis an Judith Butler verliehen wurde. Der Zentralrat der Juden in Deutschland und die Jüdische Gemeinde Frankfurt hatten der amerikanischen Philosophin Antisemitismus und Verharmlosung islamistischen Terrors vorgeworfen, Eine „bekennende Israel-Hasserin“ sei einer Auszeichnung, die nach dem Philosophen Theodor W. Adorno benannt ist, unwürdig.

Das Kuratorium, das über die Vergabe des Preises entscheidet, ließ sich dadurch nicht beirren. Der damalige Kulturdezernent Felix Semmelroth (CDU), der in der Kuratoriumssitzung den Vorsitz innehatte, sagte, man würdige das Werk einer Philosophin, die wichtige Beiträge zur Geschlechterforschung und zur Moralphilosophie erbracht habe. Der Preis wurde in der Paulskirche unter minutenlangem Applaus verliehen, Semmelroth wurde nach seinem Ausscheiden als Kulturdezernent zum ersten Antisemitismusbeauftragten der hessischen Landesregierung ernannt.

Nun, knapp zwölf Jahre nach der Feierstunde, soll die Stadt Frankfurt Butler den Preis wieder entziehen. Der Aufruf dazu kommt vom Verband Jüdischer Studierender, das Studentenparlament der Goethe-Universität hat sich angeschlossen. Semmelroths Parteifreund und Nachfolger im Amt des Antisemitismusbeauftragten, Uwe Becker, äußert, schon die Auszeichnung Butlers sei ein schwerer Fehler gewesen, der nun unbedingt rückgängig gemacht werden müsse.

Natürlich hat sich die Lage seit 2012 verändert. Der Terrorangriff der Hamas auf Israel hat einen furchtbaren Krieg ausgelöst. Was Butler dazu sagt (und nicht sagt), kann man verurteilen, aber es unterscheidet sich strukturell und substanziell nicht von ihren früheren Äußerungen zum Palästina-Konflikt. Eine Aberkennung des Preises, die wohl schon formell nicht möglich ist, würde rein gar nichts an der damals getroffenen Entscheidung ändern.

Mehr zum Thema

1/

Trotz Antisemitismus-Vorwurf : Adorno-Preis ist Judith Butler wohl nicht zu nehmen

Judith Butler zur Hamas : Kindermord als Form des Freiheitskampfes

Initiative gegen Philosophin : Aberkennung des Adorno-Preises für Judith Butler gefordert

Die Diskussion um die Preiswürdigkeit Butlers ist dennoch zu führen. Sowohl rückblickend – ob schon die Vergabe eine Fehlentscheidung war, ob man den Protest der Jüdischen Gemeinde nicht hätte ernster nehmen sollen – als auch vor dem Hintergrund der Geschehnisse seit dem 7. Oktober 2023. Das alles nicht zuletzt deshalb, weil die nächste Kuratoriumsentscheidung bevorsteht: 2024 wird der alle drei Jahre zu vergebende Adorno-Preis wieder verliehen. Es dürfte potentielle Preisträger geben, die nicht in einer Reihe mit Judith Butler stehen mögen.

QOSHE - Wer will in einer Reihe mit Judith Butler stehen? - Matthias Trautsch
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Wer will in einer Reihe mit Judith Butler stehen?

12 1
05.04.2024

Die Argumente waren schon 2012 ausgetauscht, als der Adorno-Preis an Judith Butler verliehen wurde. Der Zentralrat der Juden in Deutschland und die Jüdische Gemeinde Frankfurt hatten der amerikanischen Philosophin Antisemitismus und Verharmlosung islamistischen Terrors vorgeworfen, Eine „bekennende Israel-Hasserin“ sei einer Auszeichnung, die nach dem Philosophen Theodor W. Adorno benannt ist, unwürdig.

Das Kuratorium, das über die Vergabe des Preises entscheidet, ließ sich dadurch nicht beirren. Der damalige Kulturdezernent Felix Semmelroth (CDU), der in der Kuratoriumssitzung den Vorsitz innehatte, sagte, man würdige das Werk einer Philosophin,........

© Frankfurter Allgemeine


Get it on Google Play