Es ist eine Nachricht, die das Stadtbild deutscher Großstädte nachhaltig verändern dürfte: Der Lebensmittellieferdienst Getir und der zu ihm gehörende Anbieter Gorillas ziehen sich aus allen verbliebenen europäischen Märkten zurück, auch aus Deutschland. Keine lila-gelben oder schwarz-roten eckigen Rucksäcke auf Fahrrädern mehr, keine Lager in aussondierten Sparkassenfilialen. Damit bleibt von den superschnellen Liefer-Start-ups nur noch Flink übrig. Ob der Rückzug der Konkurrenz dazu führt, dass Flink demnächst Gewinne erwirtschaftet – wie es einst dem Restaurantlieferdienst Lieferando gelang – darf aber bezweifelt werden. Es ist der vorläufige Höhepunkt des Niedergangs einer jungen Branche, der sich in den vergangenen zwei Jahren ereignet hat – und das Ende einer bemerkenswert kurzen Erfolgsgeschichte.

In der Pandemie erlebten Lebensmittellieferdienste einen Boom. 2020 gründeten sich superschnelle Lebensmittellieferdienste wie Gorillas oder Flink. Sie versprachen, Tiefkühlpizzen, Chips oder Zahnpasta innerhalb von zehn Minuten nach Hause zu liefern. Das kam während der Pandemie gut an. Doch schon damals waren die Anbieter hochdefizitär, verbrannten jeden Monat zweistellige Millionensummen. Das ging so lange gut, wie Kapital billig und Investoren willig waren, die kostspieligen Rabattschlachten und Expansionspläne in einem Verdrängungswettbewerb zu finanzieren. Das ist seit dem Ende der Niedrigzinsphase nicht mehr der Fall.

Mit dem Ende der Pandemie sank parallel auch noch die Nachfrage, weil mehr Menschen wieder vor Ort einkaufen gingen. Es folgten hastige Sparprogramme, Massenentlassungen, Rückzüge aus Märkten und ein verzweifelter, aber letzten Endes gescheiterter Versuch der Konsolidierung, als Getir vor anderthalb Jahren den kurz vor dem finanziellen Kollaps stehenden Anbieter Gorillas übernahm. Für den Niedergang gibt es einige gute Gründe. Das im Branchenjargon als „Quick Commerce“ (Schneller Einkauf) bezeichnete Geschäftsmodell hat schlicht einige Konstruktionsfehler, die das Geschäft strukturell unprofitabel machen – jedenfalls hat noch niemand den Gegenbeweis erbracht.

Da wäre das Problem der hohen Kosten. Durch das Versprechen der niedrigen Lieferzeiten braucht es viele kleine Logistikzentren in bester Citylage. Das Geschäft ist enorm personalintensiv. Gerade zu Nachfragespitzen braucht es viele Kuriere, die zu ruhigeren Zeiten oftmals gelangweilt vor den Lagern anzutreffen waren. Das Kurzzeit-Lieferversprechen, das die Anbieter über die Zeit ohnehin aufgeweicht haben, macht eine effiziente Bündelung der Fahrtrouten – wie bei Paketboten üblich – unmöglich.

Diese hohen Fixkosten treffen auf durchschnittlich sehr niedrige Warenkörbe. Die Lieferdienste ziehen eher Gelegenheitskäufer an, als dass Familien dort ihren Wocheneinkauf machen würden. Denn den braucht der Durchschnittsbürger ehrlicherweise dann doch nur in den seltensten Fällen innerhalb von 15 Minuten. Der durchschnittliche Warenkorb der Lieferdienste liegt an vielen Standorten unter 20 Euro. Je nach Schätzung müsste er mindestens zwei- bis dreimal höher liegen, um profitabel arbeiten zu können.

Eine Reaktion darauf ist die Einführung von Liefergebühren und Mindestbestellsummen. Das verjagt allerdings wieder Kundschaft und widerspricht dem Kerngedanken. Wenn Nutzer auf ihren 15-Euro-Einkauf auch noch einige Euro Gebühr zahlen müssen, überlegen sie es sich zweimal, ob sie nicht doch lieber in den Supermarkt oder Kiosk gehen – der im Einzugsgebiet der Lieferdienste ja zumeist auch noch um die Ecke liegt.

Das heißt aber nicht, dass die Lieferung von Supermarktartikeln über Internetplattformen grundsätzlich keine Zukunft hätte. Weiterhin auf dem Markt sind Anbieter wie Knuspr , Picnic oder auch das Lieferangebot von Rewe . Statt innerhalb weniger Minuten liefern sie innerhalb von Stunden oder am nächsten Tag. Dadurch lassen sich die Liefertouren effizienter planen und größere Sortimente anbieten. Das sorgt für höherpreisige Warenkörbe, weil eher Wocheneinkäufe statt Heißhungerattacken bedient werden. Durch die längere Lieferzeit braucht es zudem nur ein zentrales Lager, nicht mehrere kleine. Auch das spart Kosten.

Es gibt sicherlich auch eine Zielgruppe für die superschnellen Gelegenheitslieferungen. Es ist ein wenig das Tankstellenprinzip: Wer am Sonntag die Tüte Chips wirklich haben will, zahlt auch den doppelten Preis. Ob das genug ist für ein solides Geschäftsmodell? Zweifelhaft.

QOSHE - Das Ende einer bemerkenswert kurzen Erfolgsgeschichte - Maximilian Sachse
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Das Ende einer bemerkenswert kurzen Erfolgsgeschichte

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29.04.2024

Es ist eine Nachricht, die das Stadtbild deutscher Großstädte nachhaltig verändern dürfte: Der Lebensmittellieferdienst Getir und der zu ihm gehörende Anbieter Gorillas ziehen sich aus allen verbliebenen europäischen Märkten zurück, auch aus Deutschland. Keine lila-gelben oder schwarz-roten eckigen Rucksäcke auf Fahrrädern mehr, keine Lager in aussondierten Sparkassenfilialen. Damit bleibt von den superschnellen Liefer-Start-ups nur noch Flink übrig. Ob der Rückzug der Konkurrenz dazu führt, dass Flink demnächst Gewinne erwirtschaftet – wie es einst dem Restaurantlieferdienst Lieferando gelang – darf aber bezweifelt werden. Es ist der vorläufige Höhepunkt des Niedergangs einer jungen Branche, der sich in den vergangenen zwei Jahren ereignet hat – und das Ende einer bemerkenswert kurzen Erfolgsgeschichte.

In der Pandemie erlebten Lebensmittellieferdienste einen Boom. 2020 gründeten sich superschnelle Lebensmittellieferdienste wie Gorillas oder Flink. Sie versprachen, Tiefkühlpizzen, Chips oder Zahnpasta innerhalb von zehn Minuten nach Hause zu liefern. Das kam während der Pandemie........

© Frankfurter Allgemeine


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